Morbus Alzheimer

Neuro-Depesche 10/2014

Die Erinnerung driftet auseinander

Man ist geneigt anzunehmen, dass eine schlechte Stimmung, die durch ein unglückliches Ereignis ausgelöst wurde, mit der Erinnerung an dieses Ereignis verknüpft ist. Dies muss aber nicht sein. Eine solche Disssoziation ist bei Alzheimer-Patienten nachweisbar.

Der Morbus Alzheimer ist durch eine Beeinträchtigung des deklarativen Gedächtnisses gekennzeichnet, parallel mit der Entwicklung einer Hippocampus-Atrophie. Die Alzheimer-Patienten können neue Informationen schlecht aufnehmen und behalten. Allerdings nimmt das Gehirn bei ihnen auch in anderen Regionen Schaden; die Dysfunktionen beziehen eine Reihe von Domänen mit ein. Andererseits scheint das emotionale Gedächtnis lange erhalten zu bleiben, zumindest in den Frühstadien. Dabei kann die Verarbeitung von Emotionen ziemlich variabel sein – wahrscheinlich Ausdruck unterschiedlicher neuropathologischer Prozesse. Die amerikanischen Autoren rekrutierten 17 Patienten mit wahrscheinlicher Alzheimer-Demenz und 17 Kontrollpersonen. Den Probanden wurden je zwei Clips mit traurigem bzw. fröhlichem Inhalt gezeigt. Das Emotionsniveau bestimmte man vorher, direkt nach dem Filmsehen erneut. Fünf Minuten später wurde die deklarative Erinnerung getestet. Die Emotionen bestimmte man dann nochmals nach zehn bis 15 sowie nach 20 bis 30 min. Nach einer Pause induzierte man noch einmal Fröhlichkeit. Es zeigte sich, dass die Alzheimer-Patienten wenig Erinnerung an den Inhalt der Filmchen hatten. Dennoch gaben sie erhöhte Werte für Traurigkeit oder Fröhlichkeit an. Diese Stimmungsinduktion hielt für mehr als 30 min an. Offenbar haben Alzheimer-Patienten ein weitgehend erhaltenes Gefühlsleben, auch wenn die deklarative Erinnung stark gelitten hat. Das hat Konsequenzen für den Umgang mit solchen Patienten. Sie fühlen sich, wenn sie schlecht behandelt wurden, noch lange unglücklich, auch wenn sie nicht wissen warum. Betreuer sollten versuchen, bei ihnen positive Gefühle wachzurufen. Damit beugt man auch mangelnder Mitarbeit und aggressivem Verhalten vor. WE

INFO

Eine Arbeitsgruppe aus Iowa und Oklahoma hatte vor wenigen Jahren entdeckt, dass das Empfinden von Emotionen bestehen bleiben kann, auch wenn die deklarative Erinnerung an das auslösende Ereignis verschwunden ist. Man entdeckte das Phänomen anhand von Patienten mit einer seltenen neurologischen Erkrankung, einem fokalen bilateralen Hippocampus-Schaden, der zu einer schweren anterograden Amnesie führte. Man zeigte solchen Patienten kurze Filmstücke mit traurigem oder fröhlichem Inhalt und stellte dann fest, dass die induzierten Emotionen anhielten, obwohl die Patienten sich an die Clips nicht erinnern konnten.

Quelle:

Guzmán-Vélez E et al.: Feelings without memory in Alzheimer disease. Cogn Behav Neurol 2014; 27: 117-29

ICD-Codes: G30.9

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