Phänomenologie bei Bipolar-Störung

Neuro-Depesche 5/2005

Was kennzeichnet Rapid-Cycling-Patienten?

Der häufige Wechsel von depressiven und manischen Episoden bei bipolar erkrankten Patienten, das sogenannte Rapid-Cycling, geht mit einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko sowie einem schlechteren therapeutischen Ansprechen einher. Weisen diese Patienten demographische und phänomenologische Merkmale auf, anhand derer sie frühzeitig zu identifizieren sind? Dies wurde nun im Rahmen des groß angelegten "Systematic Treatment Enhancement Program" untersucht.

345 Patienten mit Bipolar-I- und 111 mit Bipolar-II-Störung nach DSM-IV im Mindestalter von 15 Jahren wurden in einer Querschnittsauswertung u.a. mit der Affective Disorder Evaluation und dem Mini International Neuropsychiatric Interview untersucht. Die Symptomschwere wurde u.a. anhand der etablierten Skalen Montgomery-Asberg Depression Rating Scale (MADRS) für depressive und der Young Mania Rating Scale (YMRS) für manische Symptome ermittelt. Ein Rapid-Cycling mit mindestens vier Phasenwechseln im vergangenen Jahr wiesen 91 Teilnehmer (20%) auf. Die Betroffenen waren - im Gegensatz zu Ergebnissen anderen Studien - bei Diagnosestellung signifikant jünger als Non-Rapid-Cycler, mit durchschnittlich 38,5 vs. 42,2 Jahren um fast vier Jahre. Sie hatten wesentlich früher sowohl die erste depressive Phase (16,7 vs. 20,0 Jahre) als auch die erste manische/hypomanische Phase (18,8 vs. 22,1 Jahre) erlebt. Rapid-Cycler hatten im vorausgegangenen Jahr achtmal häufiger depressive und neunmal häufiger manische/hypomanische Phasen durchlaufen als die Teilnehmer ohne Rapid-Cycling. Bipolar-I- und Bipolar-II-Rapid-Cycler unterschieden sich in der - bemerkenswert hohen - Frequenz der Phasenwechsel nicht. Sowohl die Werte der MADRS (19,3 vs. 12,8 Punkte) als auch die der YMRS (8,6 vs. 4,8 Punkte) waren bei den Teilnehmern mit Rapid-Cycling bei Studieneinschluss höher. Die durchschnittliche Krankheits- bzw. Beeinträchtigungsschwere war ebenfalls größer, wie die niedrigeren Scores der Skala Global Assessment of Functioning (GAF) zeigten. Mit 11,0 vs. 40,4% befand sich bei Studienbeginn zudem ein geringerer Anteil der Rapid-Cycler in einer Erholungsphase. Die Geschlechterverteilung mit Dominanz der Frauen - die insgesamt fast doppelt so häufig der Bipolar-II-Gruppe angehörten - entspricht der Literatur: 23% der 271 Frauen und 16% der 185 Männer waren von einem Rapid-Cycling betroffen. Die in vergangenen Studien gefundene Korrelation zwischen Rapid-Cycling und Bipolar-II-Diagnose wurde nicht bestätigt. Ein Zusammenhang zwischen bisheriger Psychose-Inzidenz und Rapid-Cycling-Verlauf konnte auch nicht repliziert werden (38,8 vs. 46,4% der Patienten). Diese beiden ungünstigen Prognosemarker scheinen also voneinander unabhängig zu sein. Die Wahrscheinlichkeit einer psychotischen Episode war im Übrigen bei Bipolar-I- deutlich größer als bei Bipolar-II-Patienten (55,5 vs. 13,6%). Bei Patienten mit Rapid-Cycling der Bipolar-I-Gruppe wurde lediglich ein Trend für einen erhöhten, potenziell die Prognose ja verschlechternden Alkohol- bzw. Drogenabusus beobachtet. Die in dieser Untersuchung anhand vieler klinischer Parameter festgestellte deutlich größere Krankheitsschwere bei Rapid-Cycling, insbesondere eine zumeist schwerere Depression, sowie das bei jüngere Erkrankungsalter legen nahe, diese Patienten besonders frühzeitig und besonders konsequent zu behandeln. Möglicherweise lässt sich der ungünstigere Langzeitverlauf dadurch positiv beeinflussen. (cer)

Quelle: Schneck, CD: Phenomenology of rapid-cycling bipolar disorder: data from the first 500 participants in the systematic treatment enhancement program, Zeitschrift: AMERICAN JOURNAL OF PSYCHIATRY, Ausgabe 161 (2004), Seiten: 1902-1908

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