Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin (ANIM) 30.1. bis 1.2.2020 in Karlsruhe

Neuro-Depesche 3/2020

Neues zu Thrombektomie, Künstlicher Intelligenz, SMART-Syndrom und mehr

Noch ohne COVID-19-Sorgen trafen sich Ende Januar etwa 1.200 Ärzte, Wissenschaftler, Pflegekräfte und Therapeuten zur gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) in Karlsruhe. Der ANIM 2020 bot mit insgesamt 55 Vorträgen, 64 Postern und acht Workshops ein wissenschaftliches Update.
Hier eine Auswahl der in Karlsruhe diskutierten Themen.
 
Intubationsnarkose bei MTE
In den letzten fünf Jahren hat sich die Akuttherapie des Schlaganfalls massiv verändert: Die katheterbasierte mechanische Thrombektomie (MTE) führt zu Therapieresultaten, die deutlich über die der intravenösen Thrombolyse hinausgehen. Ältere, retrospektive Studien hatten die Intubationsnarkose bei MTE-Patienten nachteilig bewertet. „Nach einer Metaanalyse von drei unabhängigen, randomisierten Studien scheint aber das funktionelle Ergebnis bei Intubationsnarkose sogar besser zu sein“, schilderte Prof. Julian Bösel, Kassel, und fügte hinzu: „Nach erfolgreicher Gefäßeröffnung darf der Blutdruck abfallen, vermutlich sollte man ihn sogar leicht senken, um einen zu starken Einstrom von Blut ins geschädigte Gewebe und Einblutung in das Infarktgebiet zu vermeiden.“
 
Kognitive Defizite nach Intensivbehandlung
Nach der Entlassung von einer Intensivstation zeigen bis zu 78 % aller Patienten über viele Jahre Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit. Dies ergab eine Untersuchung, die Dr. Julius Emmerich, Berlin, vorstellte. Besonders betroffene Domänen sind Konzentration und Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutivfunktionen wie Entscheidungen fällen, Verwerten von Feedback und (Selbst-)Reflexion. Das Delir, bekanntester Risikofaktor für langfristige kognitive Defizite, tritt bei Intensivpatienten in 30 – 80 % der Fälle auf. Zurzeit werden mehrere Kohortenstudien durchgeführt, die den Zusammenhang zwischen kognitiven Einbußen und dem Delir beleuchten. „Auf die Ergebnisse“, so Emmerich in Karlsruhe, „dürfen wir gespannt sein.“
 
KI prognostiziert Mortalität
Das Mortalitätsrisiko von Neurointensivpatienten ist – trotz oder wegen immer größerer Datenmengen – häufig schwer einzuschätzen. Dr. Nils Schweingruber, Hamburg, präsentierte auf dem Kongress ein auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierendes Modell zur Risikoevaluierung: Von Mai 2007 bis August 2019 wurden 1.136 Patienten mit intrakraniellen Blutungen, Schlaganfällen oder Schädel-Hirn-Traumata und liegender intraparenchymatöser Drucksonde eingeschlossen. Die Auswertung der Echt-Zeit-Daten durch die (zuvor antrainierten) neuronalen Netzwerke ergab eine Vorhersagegenauigkeit von exzellenten 91,3 %. Derzeit wird an weiteren Optimierungen der Algorithmen gearbeitet, Validierungen an externen Kohorten sind in Planung.
 
Ist die Hälfte aller Shunt-Revisionen vermeidbar?
Revisionen von CSF-Shunt-Operationen stellen eine große soziale und ökonomische Belastung dar. Dr. Stefanie Kästner, Kassel, untersuchte unter Einbindung eines Panels von fünf Experten deren Vermeidbarkeit.
314 Patienten (mittleres Alter 49,9 Jahre) ließen insgesamt 210 Revisionen durchführen. Davon stufte das Panel 96 (45,7 %) als vermeidbar ein, eine alarmierend hohe Rate. Die Häufigkeit korrelierte zwar deutlich mit der Erfahrung der Chirurgen, doch selbst unter den geübtesten Händen wurden noch 12,5 % der Revisonen als vermeidbar klassifiziert.
 
SMART-Syndrom 20 Jahre nach Bestrahlung?
Das SMART-Syndrom (Stroke-like migraine attacks after radiation therapy) wurde erstmals 2002 beschrieben. Zum Symptomkomplex gehören Migräne und fokale neurologische Ausfälle. Den Fall einer 48-jährigen Frau stellte Dr. Kerstin Tykocinski, Karlsruhe, vor. Die Patientin zeigte bei Vorstellung eine seit zwei Tagen bestehende beidseitige Amaurosis, Aphasie und linksseitige Hemihypästhesie, Hemiataxie und latente Hemiparese sowie begleitend unilaterale, therapieresistente Kopfschmerzen. Ursache könnte eine ZNS-Bestrahlung nach operativer Resektion eines Ependymoms vor 20 Jahren sein. Damals hatten Folge-CTs eine radiogen bedingte Leukenzephalopathie gezeigt.
Aktuell wurde nach Abklärung mittels CT, MRT, FGD-PET, EEG, Liquordiagnostik und Bestimmung von Autoimmun-Antikörpern, Vaskulitismarkern etc. eine Therapie mit gewichtsadaptierter Cortisongabe p. o. begonnen. In der Folge erfuhr die Patientin eine langsame Besserung der neurologischen Symptome und der Kopfschmerzen.
SMART gilt zwar als insgesamt seltene Komplikation, so Tykocinski, doch bei steigenden Überlebensraten nach Radiotherapien sollte mit einer Zunahme dieses Syndroms gerechnet werden. Die rechtzeitige Diagnose hilft, betonte sie, Patienten vor unnötigen Angiographien und Hirnbiopsien zu bewahren. FW

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