Anticholinergika bei Älteren

Neuro-Depesche 9/2011

Mehr kognitive Defizite – und erhöhte Mortalität?

Anticholinerg wirkende Medikamente können die kognitiven Fähigkeiten nicht nur akut beeinträchtigen. Bei älteren Menschen können die Medikamente auch den geistigen Abbau beschleunigen und möglicherweise sogar das Leben verkürzen. Darauf deuten die Ergebnisse einer bevölkerungsbasierten Studie hin.

Die Studie im Rahmen der Medical Research Council Cognitive Function and Ageing Study (MRC CFA) ist die erste systematische Untersuchung der langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von Medikamenten mit anticholinergem Effekt. Dazu gehören die Antidepressiva Ami­triptylin, Imipramin und Clomipramin, die Tranquilizer Chlorpromazin und Trifluo­perazin, das gegen Harninkontinenz eingesetzte Oxybutynin oder Antihistaminika wie Chlorphenamin. Auch die Herzkreislaufmedikamente Atenolol, Furosemid und Nifedipin, Schmerzmittel wie Codein und Dextropropoxyphen, das Steroid Beclometason, das Antiepileptikum Carbamazepin und Timolol-Augentropfen zur Senkung des Augeninnendrucks fallen in diese Gruppe. Diese Substanzen beeinträchtigen die cholinerge Transmission und haben daher die gegenteilige Wirkung wie die als Antidementiva eingesetzten Cholinesterase-Hemmer.

Herangezogen für die zweijährige Studie wurden die Daten von 12 423 Personen über 65 Jahre. Sie alle unterzogen sich dem MMST. Gemäß der Anticholinergic Cognitive Burden Scale (ACB) wurden die anticholinerge Last bestimmt und die verwendeten Medikamente nach „keiner“, „möglicher“ oder „definitiver“ anticholinerger Wirkung klassifiziert. Nahezu die Hälfte der Patienten nahm mindestens ein Medikament mit anticholinergem Effekt ein.

Nach Adjustierung auf viele Variablen wie Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, sozialer Schicht, Anzahl der zusätzlichen nicht-anticholinergen Medikamente und Anzahl der komorbiden Erkrankungen war die Einnahme anticholinerg wirkender Medikamente mit einem um 0,33 Punkte stärkeren Rückgang des MMST-Scores verbunden (p = 0,03, 95% KI 0,03–0,64). Dabei war die Einnahme von Substanzen mit möglichem anticholinergem Effekt zu Studienbeginn nicht mit keiner weiteren signifikanten Abnahme des MMST-Scores assoziiert.

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Fazit
?! Auch in dieser großen bevölkerungsbasierten Studie verschlechterten Medikamente mit anticholinergen Wirkungen die Kognition signifikant. Die Autoren raten, bei älteren Patienten mit kognitiven Störungen die Gesamtmedikation zu überprüfen, zumal viele Senioren mehrere derartiger Mittel einnehmen und unter einer Addition der Nebenwirkungen leiden. Ob die hier gefundene erhöhte Sterblichkeit tatsächlich die direkte Folge der anticholinerg wirkenden Substanzen ist, lässt sich nicht sicher sagen. Es könnte auch sein, dass die hohe Verschreibungsrate lediglich ein Indikator der höheren Morbidität der älteren Patienten ist, die ihrerseits die Sterblichkeit ansteigen lässt.

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