Therapierichtlinien verglichen

Neuro-Depesche 5/2005

Evidenzbasiertes Vorgehen nach NICE

Das britische National Institute for Clinical Excellence (NICE) veröffentlichte 2004 Richtlinien zur Behandlung von Essstörungen. Für einige Erkrankungsformen wird nun die kognitive Verhaltenstherapie (CBT) empfohlen. Ein US-Psychologe und ein britischer Psychiater arbeiteten die wesentlichen Punkte heraus und verglichen die Richtlinien mit den Practice Guideline for Eating Disorders (PGED) der American Psychiatric Association.

In den NICE-Richtlinien werden die Behandlungen nach ihrer Effizienz bewertet, wie sie sich aus rigoroser Analyse klinischer Studienergebnisse ergibt: Die Evidenzgrade reichen von A (hohe Evidenz aus hochwertigen randomisierten Studien) bis C (Expertenmeinung ohne eindeutige Datenlage). Bei einer ansehnlichen Zahl von mehr als 100 Empfehlungen wurde allerdings die Note C am häufigsten vergeben, für einige Essstörungsformen konnten keine gut belegten Empfehlungen ausgesprochen werden. So liegen für die Anorexia keine sehr verlässlichen Daten für eine effiziente Therapie vor, es werden lediglich Grad-C-Empfehlungen ausgesprochen. Auch bei den häufig vorkommenden anderweitig nicht spezifizierten oder "atypischen" Essstörungen ergab sich keine besondere Evidenz für eine der psychotherapeutischen oder medikamentösen Behandlungsoptionen. Ausnahme ist die Binge Eating Disorder, für die eine (spezifisch angepasste) CBT mit Grad-A-Evidenz empfohlen wird. Ebenfalls mit A bewertet wird die CBT bei Bulimia nervosa (16-20 Sitzungen über bis zu fünf Monate). Auch der Einsatz von Antidepressiva ist bei Bulimie sinnvoll - die Evidenz ist mit B allerdings schlechter. Die aktuelle Herausforderung besteht nach NICE nun darin, die CBT auf breiter Ebene in den Behandlungsalltag zu integrieren, u.a. also über Allgemeinpraxen verfügbar zu machen. Zwischen den britischen und den US-amerikanischen Richtlinien besteht ein großer Unterschied methodologischer Art: Während den NICE-Richtlinien klar zu entnehmen ist, nach welchen Kriterien die Studienresultate bewertet wurden und in welchen Bereichen weitere Forschung erforderlich ist, differenzieren die PGED weniger stringent und nicht einmal durchgängig nach beträchtlicher oder mittelgradiger "Clinical confidence" bzw. nach einem berechtigten Vorgehen aufgrund individueller Umstände. So soll nach den US-Richtlinien z.B. nicht nur bei Kindern und Jugendlichen sondern auch bei Erwachsenen mit Bulimie "nach Möglichkeit" eine Familienintervention erfolgen, eine Begründung wird nicht geliefert. Insgesamt wird kaum zwischen klinischer Evidenz und Konsensus-Urteil unterschieden. Die PGED schließen für jedes Krankheitsbild viele Therapieoptionen ein, daher werden auch so gut wie keine spezifischen Therapievorschläge gemacht. Vielmehr wird weitgehend auf das subjektive klinische Urteil des Arztes (und dessen persönliche Vorlieben?) gesetzt.

Quelle: Wilson, GT: Eating disorders guidelines from NICE, Zeitschrift: THE LANCET, Ausgabe 365 (2005), Seiten: 79-81

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