Immigrierte Ärzte in Deutschland

Neuro-Depesche 10/2016

Das sind die größten Schwierigkeiten

Bei zunehmendem Ärztemangel stellen immer mehr Krankenhäuser immigrierte Ärzte ein – besonders in ländlichen Gebieten im Osten. 2015 waren dies hierzulande 37 878 und damit 10% aller praktizierenden Ärzte – und 2030 werden geschätzte 106 000 Ärzte fehlen. Welche Schwierigkeiten sich für die Patientenversorgung und die Ärzte selbst ergeben, untersuchten Münchner Wissenschaftler in einer deskriptiven Studie.

Mit 20 außerhalb Deutschlands geborenen und ausgebildeten Ärztinnen (n = 12) und Ärzten, die mehrheitlich seit fünf bis zehn oder länger als zehn Jahre hierzulande arbeiten, wurden semi-strukturierte Interviews geführt. Bei der Rekrutierung wurde Wert gelegt auf ein breites Spektrum an Fachdisziplinen (Internisten, Chirurgen, Psychiater) und Herkunftsländern (vornehmlich Rumänien, Polen und Russland, einzelne aus Griechenland, Libyen, Iran und Syrien).
Der qualitativen Inhaltsanalyse zufolge berichteten die Ärzte Schwierigkeiten auf mehreren Ebenen. Sie erlebten vor allem bestimmte rechtliche Normen (umfassende Dokumentation, Arbeitsteilung zw. Ärzten und Pflegekräften, „Shared Decision Making“) als schwierig. Den Ablauf des Anerkennungs- und Bewerbungsverfahrens (befristete Arbeitsgenehmigung bei Nicht-EU-Ärzten, langsame, überbürokratische Abläufe im Job-Center etc.) schilderten sie als belastend. Die Teilnehmer kritisierten auch die Organisation der Arbeitsumgebung (angekündigte Unterstützung durch die Vorgesetzten fehlte, versprochene Position wurde nicht zugestanden etc.).
Viele Befragte gaben an, dass sie ihr kontextspezifisches Wissen als unzureichend erlebten. So hinsichtlich der deutschen (Alltags-)Sprache/ Dialekte und kulturellen Besonderheiten, aber auch bezüglich der Facherfahrungen (diagnostische Methoden, ungewohnte Krankheitsbilder) und der hiesigen Organisationsstruktur (z. B. Patienten-Management-Software, Schweigepflichtentbindung bei nicht-verheirateten Partnern etc.). Gerade von Psychiatern wurden sprachlich und kulturell bedingte Probleme in der Patienten-Kommunikation berichtet.
Schließlich fanden viele Befragte das Verhalten von Patienten, aber auch Mitarbeitern als diskriminierend oder anderweitig unangemessen, so u. a. als „ausländerfeindlich” oder allgemein herablassend. JL
Kommentar

In der ersten deutschen Studie dieser Art zeigte sich für immigrierte Ärztinnen/Ärzte eine vielschichtige Problematik, die das Gesundheitssystem, eigene Kompetenzen und menschliche Beziehungen betraf. Die Autoren befürworten die Entwicklung angemessener Unterstützungsstrukturen, wie sie auch im WHO Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel gefordert werden, um die Qualität der Versorgung sowie die Arbeitszufriedenheit der Ärzte zu gewährleisten. So sollten Weiterbildungsangebote entwickelt werden, die migrierte Ärzte im Erwerb kontextspezifischen Wissens unterstützen.

Quelle:

Klingler C, Marckmann G: Difficulties experienced by migrant physicians working in German hospitals: a qualitative interview study. Hum Resour Health 2016; 14(1): 57 [Epub 23. Sept: doi: 10.1186/s12960- 016-0153-4]

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