Mythos oder Realität des moderaten Alkoholkonsums?

Neuro-Depesche 4/2015

Wird die Mortalität gesenkt?

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Immer wieder wird berichtet, dass ein moderater Alkoholkonsum gesundheitsfördernd wirkt und die Lebenserwartung verlängert. Ein Wissenschaftler-Team ging der Frage nach, ob sich für eine verringerte Mortalität bei geringen Trinkmengen belastbare Daten finden, oder ob es sich vielleicht doch um einen Mythos handelt.

Zu diesem Zweck analysierten sie eine Gesundheitsbefragung, die in zehn Wellen zwischen 1998 und 2008 in England bei der Allgemeinbevölkerung durchgeführt wurde und stellten eine gepoolte Analyse der Ergebnisse an.
In den zwei erstellten Befragungskohorten (1998–2002 bzw. 1999–2008) verstarben über median 9,7 Jahre 4102 von 8368 bzw. über median 6,5 Jahre 4220 von 34523 Personen. Gesucht wurde nun nach Zusammenhängen zwischen Alkoholkonsum (0,1–5,0, 5,1–10,0, 10,1–15,0, 15,1–20,0 oder > 20,0 Einheiten pro durchschnittliche Woche im letzten Jahr oder am „schwersten Trinktag“ in der letzten Woche mit 0,1–1,5, 1,6–3,0, 3,1–4,5 oder > 4,5 Einheiten) und der Gesamtmortalität (ab Interview-Zeitpunkt bis 31. März 2011) nach Sterberegisterdaten. Die Personen wurden jeweils nach Geschlecht und Alter (Jüngere: 50–64, Ältere: ≥ 65 Jahre) stratifiziert.
In nicht-adjustierten Modellrechnungen wurden bei beiden Geschlechtern über ein breites Spektrum an Alkoholmengen Schutzwirkungen auf die Mortalität festgestellt. Doch zumeist wurden diese nach Adjustierung auf verschiedene Variablen wie persönliche und sozioökonomische Faktoren stark vermindert. Dies war weiter der Fall, sobald frühere Problemtrinker oder Abhängige aus der Analyse ausgeschlossen wurden.
Was blieb? Gegenüber Personen, die angaben, nie getrunken zu haben, ergaben sich signifikante protektive Effekte für die Wahrscheinlichkeit (Hazard Ratio, HR) eines Todes nur bei jüngeren Männern und älteren Frauen. Allerdings war unter den jüngeren Männern die Spanne an protektiven Effekten minimal. So fand sich ein Schutz nur bei jenen, die einen Konsum von 15,1-20,0 Einheiten/Woche angaben (HR: 0,49; p < 0,03) bzw. 0,1–1,5 Einheiten an den schwersten Trinktagen (HR: 0,43; p < 0,02). Bei den älteren Frauen war die Spanne an protektiven Effekten breiter, diese waren jedoch schwächer ausgeprägt: Ein signifikanter Schutz (mindestens p < 0,05) ergab sich bei Frauen mit ≤ 10,0 Einheiten/Woche (HR: 0,74–0,85) bzw. über alle Mengen an den „schweren Trinktagen“ (HR: 0,58–0,76). Zusätzliche Analysen zeigten, dass die meisten Schutzwirkungen eines Alkoholkonsums vollkommen verschwanden, wenn der Vergleich nicht gegenüber Abstinenten stattfand, sondern gegenüber Personen, die „gelegentlich“ tranken, mithin der Mehrzahl der Bevölkerung. JL
KOMMENTAR

Ist der angenommene Vorteil eines geringen Alkoholkonsums für die Lebenserwartung mit dieser Studie „verdampft”, fragt ein Kommentator. Es scheint so. Tatsächlich dürften die meisten positiven Aussagen für eine derartigen Zusammenhang auf inadäquaten Referenzgruppen und einer unzureichenden Adjustierung auf verschiedene beitragende Faktoren zurückzuführen sein, so die Autoren. Falls überhaupt, dürften lediglich Frauen über 65 einen nennenswerten Vorteil für ihre Lebenserwartung haben – allerdings nur gegenüber strikt Abstinenten.



Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle:

Knott CS et al.: All cause mortality and the case for age specific alcohol consumption guidelines: pooled analyses of up to 10 population based cohorts. BMJ 2015; 350: h384 [Epub ahead of print 5. Feb 2015; doi: 10.1136/bmj.h384133]

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