Medizinethik am Himalaya

Neuro-Depesche 10/2014

Wieviel ist uns die Gesundheit wert?

Am 18. April 2014 starben 16 Sherpas auf dem Weg zum Gipfel des Mount Everest in einer Lawine. Alle weiteren geplanten Expeditionen wurden daraufhin vorerst abgesagt, gefolgt von einer öffentlichen Diskussion über die Gefahren des Gipfeltourismus.

Das British Medical Journal beleuchtete dieses Thema aus medizinethischer Sicht. Die Frage, inwieweit sich eine finanzielle Vergütung und ein dafür eingegangenes gesundheitliches Risiko decken, ist in der Medizin geläufig (vgl. bezahlte Organspenden, Leihmutterschaft, Teilnahme an Medikamenten-Studien). Die Autoren berechneten, dass das Mortalitätsrisiko eines Sherpas innerhalb einer Klettersaison 0,8% betrug. Wenn man das letzte schwere Unglück mitbetrachtet, starben 73% der Sherpas an Risiken wie Lawinen, fallende Gesteins- und Eisbrocken oder Gletscherspalten. Ist ein 0,8-prozentiges Todesrisiko den Durchschnittsverdienst von 5000 US$ pro Saison wert? Nepalesen werden nicht direkt gezwungen, als Sherpas vermögende Bergsteiger auf den Gipfel zu hieven. Die Aussicht auf den Verdienst mag vor dem Hintergrund eines Jahresdurchschnittseinkommen von 700 US$ zu einer irrationalen persönlichen Risikobewertung führen. Ist es Ausbeutung? Ist es unfair, die schlechten Lebensbedingungen zum eigenen Vorteil auszunutzen? Eigentlich schon, meinen die Autoren ... Allerdings gibt es auch eine „Win-win-Situation“. Eine Möglichkeit wäre, die „Ausbeutung“ umzudrehen und höhere Löhne und Versicherungsleistungen zu erzwingen: Der Bedarf an Sherpas ist groß und ihr Einsatz für den Expeditionserfolg unumgänglich. Auf der anderen Seite könnte eine höhere Vergütung für Sherpas wiederum dazu führen, dass das Risiko noch weniger wahrgenommen und verdrängt wird, und die Sicherheit weiter in den Hintergrund rückt. Ist es unter den aktuellen Bedingungen nun ethisch vertretbar, Sherpas zu engagieren? Das bleibt weiter unklar, aber eine medizinethische Herangehensweise an das Problem könnte in der Diskussion helfen. CB

Quelle:

Largent EA: Is it ethical to hire sherpas when climbing Mount Everest? BMJ 2014; 349: g5113

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