THC-Infusionen

Neuro-Depesche 3/2015

Wie führt Cannabis zur Paranoia?

Paranoia ist eine zentrale Erfahrung vieler Patienten mit Psychose. Cannabis-Konsum kann (auch bei psychisch Gesunden) paranoide Vorstellungen induzieren. Eine europäische Forschergruppe wollte nun herausfinden, ob es wirklich der psychoaktive Inhaltsstoff des Cannabis, Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC), ist, der die Paranoia verursacht, und welche (kognitiven) Mechanismen oder andere Faktoren dafür eine Rolle spielen. Sie führten dazu eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie mit THC-Infusionen durch.

Rekrutiert wurden 121 psychisch Gesunde, die schon einmal Cannabis konsumiert und nach der Paranoid Thoughts Scale Teil B im letzten Monat paranoide Gedanken hatten. Sie wurden zu einer von drei Gruppen randomisiert: THC-Infusion (Dronabinol) ohne und nach fünfminütiger Aufklärung über deren mögliche Wirkungen sowie Plazebo-Infusion.
Im Anschluss wurde die Entstehung paranoider Vorstellungen und anderer psychischer Effekte mithilfe von vier Methoden geprüft: in einer realen sozialen Situation und in einem lebensechten Virtual reality-Experiment sowie anhand selbstberichteter Veränderungen und einer Interviewer-Beurteilung. Die Paranoia-Bewertung erfolgte mit diversen Instrumenten, u. a. mit Visuell-Analog-Skalen (VAS), der State Social Paranoia Scale (SSPS) und dem Community Assessment of Psychic Experiences (CAPE).
Die THC-Infusionen hatten in den folgenden 90 Minuten mehrere signifikante psychische Effekte: Zunahme der Paranoia nach VAS und SSPS, der Angst (nach dem Beck Anxiety Inventory, BAI), von Sorgen und Depressivität (nach VAS) und negativer Selbstbetrachtungen (nach den Brief Core Schema Scales) sowie eine Reihe von anomalen Erfahrungen (nach der Cardiff Anomalous Perceptions Scale, CAPS). Außerdem wurde die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses (nach WAIS-III-Tests) deutlich verringert.
Der Hauptkomponentenanalyse zufolge wurde der Anstieg der Paranoia vollständig erklärt durch die Zunahme negativer Gefühle und die anomalen Erfahrungen, während die Verschlechterung des Arbeitsgedächtnisses darauf – entgegen der Studienhypothese – keinen signifikanten Einfluss hatte. Bedauerlicherweise und unerwartet erwies sich die vorherige Aufklärung der Studienteilnehmer über die möglichen THC-Effekte nicht nur als weitgehend wirkungslos, sie schien die Paranoia sogar eher zu verstärken. JL
KOMMENTAR

In dieser bislang größten Studie zu intravenös infundiertem THC wurde klar nachgewiesen, dass diese Substanz bei vulnerablen Menschen paranoide Gedanken triggern kann. Vermittelt wird dies offenbar über eine THC-bedingte Zunahme unangenehmer Gefühle und außergewöhnlicher Wahrnehmungen. Die Befunde könnten u. a. zur Klärung der Paranoia-Entstehung bei Menschen mit schizophrener Psychose beitragen.

Quelle:

Freeman D et al.: How cannabis causes paranoia: using the intravenous administration of Δ9-tetrahydro- S cannabinol (THC) to identify key cognitive mechanisms leading to paranoia. Schizophr Bull 2015; 41(2): 391-99

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x