„Aggressive Onset"-MS

Neuro-Depesche 9/2016

Vorschläge für Definition und Therapie

Ein kleiner, bisher wenig beachteter Prozentsatz von Patienten mit MS erleidet einen von Anfang an äußerst rasch fortschreitenden „aggressiven“ Verlauf. Bei dieser „Aggressive Onset Multiple Sclerosis“ (AOMS) besteht offenbar ein ausgesprochen kleines Fenster, um die früh einsetzenden, irreversiblen Behinderungen zu reduzieren. Jetzt wurden Verläufe und das Outcome berichtet.

Definiert wurde die AOMS wie folgt: Innerhalb des ersten Erkrankungsjahres entweder 1) zwei oder mehr Schübe oder 2) ein Schub, der eine anhaltenden EDSSVerschlechterung von 3 Punkten zur Folge hat – jeweils begleitet von zwei oder mehr Gadolinium( Gd)-anreichernden Läsionen im kranialen MRT. Dies traf auf 58 der 783 Patienten (7,4%) der Weill-Cornell Medical College MS-Datenbank zu.
Bei 43 auswertbaren Patienten (medianes Alter 33 Jahre, 70% Frauen, 65% kaukasischer Abstammung) betrug der Nachbeobachtungszeitraum durchschnittlich 54 Monate. Das Outcome- Kriterium NEDA war definiert als keine Schübe, keine EDSS-Progression und keine neuen oder reaktivierten T2- oder Gd-anreichernden Läsionen.
35 der 43 Patienten (81%) erhielten zunächst ein Basistherapeutikum (Interferon-beta oder Glatirameracetat). Nur zwei dieser 35 (5,7%) erfüllten im weiteren Verlauf die NEDA-Kriterien. Acht der 43 AOMSPatienten erhielten von Anfang an ein immunmodulierendes bzw. immunsupprimierendes MS-Therapeutikum mit höherer Wirksamkeit (Natalizumab, Alemtuzumab, Rituximab, Cyclophosphamid). Von ihnen erreichten sieben (87,5%) den NEDA-Status.
22 Patienten wechselten infolge anhaltender klinischer (n = 15) oder radiologischer (n = 7) Krankheitsaktivität nach 2–43, median 9,5 Monaten zu den stärker wirksamen MS-Medikamenten. Unter ihnen wurde NEDA bei 21 Patienten (97,5%) festgestellt.
Von den bei insgesamt 30 Patienten eingesetzten stärker wirksamen MS-Medikamenten (Follow- up-Dauer 12–85, durchschnittlich 32,4 Monate) profitierten mit Erreichen von NEDA also 28 Patienten, immerhin fast 90%.
Weitere Ergebnisse betrafen eine deutlich niedrigere jährliche Schubrate unter den stärker wirksamen als unter den Basistherapien (0,025 vs. 0,45). Mit einer höheren Wahrscheinlichkeit erreichten die initial mit Medikamenten höherer Wirksamkeit Behandelten eine Verbesserung des Behinderungsrades als jene unter Basistherapien (Odds Ratio: 3,5; 95%-KI: 0,49–23,97). BZ
Kommentar

Nach diesen Daten hatte die AOMS eine Prävalenz von 7,4%. Die aggressive Verlaufsform erfordert offenbar stärker wirksame Therapien, um die Krankheitsaktivität zu kontrollieren. Um das frühe therapeutische Fenster nutzen zu können, schlagen die Autoren einfache, schon im ersten Krankheitsjahr anzuwendende Diagnosekriterien vor. Allerdings fehlen bisher valide Kriterien und Empfehlungen aus Guidelines für den Einsatz der MS-Präparate mit höherer Wirksamkeit im Einzelfall. Dies betrifft nicht zuletzt auch die Abwägung gegenüber ggf. höheren Risiken für schwere Nebenwirkungen.

Quelle:

Kaunzner UW et al.: A study of patients with aggressive multiple sclerosis at disease onset. Neuropsychiatr Dis Treat 2016; 12: 1907-12

ICD-Codes: I64

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