Jahreskongress der DGKN, 28. bis 30. März in Freiburg

Neuro-Depesche 5-6/2019

Von einer rein diagnostischen zur auch therapeutischen Disziplin

Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) wurden verschiedene neuartige Therapieansätze vorgestellt. Sie basieren zum einen auf dem gewachsenen Verständnis der mit neurologischen und psychischen Erkrankungen einhergehenden spezifischen Netzwerkstörungen, zum anderen auf der Entwicklung selbstlernender Algorithmen für Neurofeed-back und -stimulation.

Hier aus den vielfältigen Beiträgen eine Auswahl, insbesondere zu den therapeutisch relevanten Erkenntnissen.
 
Paradigmenwechsel in der Neurophysiologie
 
„Wir erleben derzeit einen Paradigmenwechsel in der Neurophysiologie“, erklärte Prof. Cornelius Weiller, Freiburg. Mit zunehmender Aufklärung der Mechanismen, die mittels Umbau der Netzwerkarchitektur dafür sorgen, dass nach einer fokalen Hirnschädigung andere Hirnareale die Funktionen des geschädigten Gebiets übernehmen, könne man prädiktive Aussagen über die Wirksamkeit bestimmter Therapiemaßnahmen treffen.
Mit der „explosionsartigen Vermehrung des Wissens“ über diese Zusammenhänge verstünde man heute immer besser, warum z B. eine Spiegeltherapie bei manchen Schlaganfall-Patienten funktioniert, bei anderen nicht. Das führte zu dem Ansatz, das Gehirn zur Bildung funktionaler Netzwerke anzuregen – über Neurofeedback oder durch direkte (elektrische oder magnetische) Stimulation des Kortex. Damit entwickelt sich die Neurophysiologie von einer vormals rein diagnostischen zu einer auch therapeutischen Disziplin.
 
Neurofeedback 2.0
 
Als Brain-Computer-Interfaces (BCI) bezeichnet man computergestützte selbstlernende Systeme. Diese sollen herausfinden, wo die neuronalen Regelkreise, deren Funktionieren zum Lernen neuer Fertigkeiten und Abspeichern von Gedächtnisinhalten notwendig ist, unterbrochen sind. Sobald sich Hirnaktivität zeigt, die zum Schließen einer solchen Schleife tendiert, bekommt die behandelte Person vom Computer ein positives Feedback. Daraufhin werden nach und nach immer mehr für die Aufgabenlösung notwendige Gehirnareale aktiviert. Diese Effekte werden Weiller zufolge darüber hinaus „generalisiert“. Auch bei älteren Menschen könne diese Neuroplastizität gezielt angeregt werden.
 
Förderung funktionaler Hirnaktivität
 
Die Neurophysiologin Dr. Mariacristina Musso und der Informatiker Dr. Michael Tangermann, Freiburg, versuchen mithilfe eines BCI Schlaganfall-Patienten darin zu trainieren, einen bestimmten Aktivitätsstatus des Gehirns mit einem bestimmten Sprachstimulus in Einklang zu bringen. Während der Patient im Rahmen einer Sprachaufgabe versucht, einen Satz durch das fehlende „Zielwort“ zu ergänzen, analysiert das BCI-System die ereigniskorrelierten EEG-Potenziale P300 und N200. Diese fallen bei Gesunden unterschiedlich aus, je nachdem ob ein Zielwort oder Nicht-Zielwort verarbeitet wird. Verwendet die mit BCI behandelte Person die „richtige“ Hirnaktivität bei der Verarbeitung des Zielworts, erhält sie – ohne dass sie dieses Wort bereits ausgesprochen hätte – ein positives Feedback vom System. Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben wird nach und nach erhöht.
 
Proof-of-Concept als nächster Schritt
 
Weltweit wurde das intensive und anstrengende BCI-gestützte Training bislang bei zehn Schlaganfall-Patienten getestet. Es scheint zu einer alltagsrelevanten Verbesserung der gestörten Sprachkompetenz zu führen, die nach Weiller weit über das Trainierte hinausgeht und nicht durch unspezifische Faktoren wie Aufmerksamkeit oder kognitive Geschwindigkeit bedingt wird.
In Proof-of-Concept-Studien sollen diese ersten Ergebnisse nun u. a. daraufhin überprüft werden, ob es wirklich das EEG ist, das die entscheidenden Parameter lieferte, um bei den bisher mit BCI Behandelten zum Erfolg zu führen. Im nächsten Schritt sollen dann randomisierte Placebo-kontrollierte Studien folgen.
 
High Speed mit 50 TMS-Spulen
 
Möglicherweise können die therapeutischen Möglichkeiten der BCI in Zukunft im Rahmen der Closed Loop Stimulation (CLS) erheblich erweitert werden. Prof. Ulf Ziemann, Tübingen, berichtete aus dem EU-geförderten Forschungsprojekt ConnectToBrain, man entwickle derzeit eine helmartige Apparatur, mit der man über bis zu 50 TMS-Spulen sehr präzise bestimmte Kortexareale ansteuern und funktionale Netzwerkaktivitäten verstärken kann.
Der gesamte Kortex soll damit der computergesteuerten TMS zugänglich sein. Die EEG-Daten für CLS sollen dabei mit einer zeitlichen Präzision von wenigen Millisekunden umgesetzt werden. In den nächsten drei Jahren laufen Ziemann zufolge erste Tests an gesunden Versuchspersonen. Danach sollen erste Tests mit Schlaganfall-, Depressions- und Alzheimer- Patienten erfolgen. TH

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