Altersabhängige Befunde bei Gesunden

Neuro-Depesche 3/2017

Um wie viel schwindet das Hirn pro Jahr?

Bei MS-Patienten ist die jährliche Hirnatrophie-Rate gegenüber alternden Gesunden stark erhöht. Wie groß der globale und regionale Hirnparenchym-Abbau beim physiologischen Altern wirklich ist, wurde jetzt von einer deutsch-schweizerischen Forschungsgruppe bei mehr als 500 Personen im Detail ermittelt.

Ausgewertet wurden dazu die Bildgebungsdaten zweier Kohorten gesunder Personen: 248 vom Medical Prevention Center (MPCH) in Hamburg und 316 aus den Open Access Series of Imaging Studies (OASIS) (jeweils 1,5-Tesla- MRT-Scanner mit MPRAGE-Sequenz). Die Alters-Volumen-Daten des Brain volume loss (BVL) pro Jahr wurden für die graue Substanz (GM), die weiße Substanz (WM), das gesamte Hirnparenchym (GM+WM = BP), das Corpus callosum (CC) und den Thalamus mittels eines non-parametrischen Volumen-Mappings berechnet. Bei MS-Patienten ist das Volumen des Corpus callosum schon sehr früh im Verlauf reduziert, und eine Thalamus-Atrophie gilt u. a. als Prädiktor für die Konversion eines Clinically isolated Syndrom (CIS) zu einer klinisch definitiven MS (CDMS). Beide korreliern außerdem gut mit der körperlichen und kognitiven Behinderungszunahme der Patienten.
Geschlechterunterschiede ergaben sich nicht, und die durchschnittlichen absoluten Differenzen zwischen den beiden Kohorten waren über die gesamte Altersspanne von 35– 70 Jahren sehr gering (0,02% für BP, 0,04% für GM und für WM, 0,11% für den CC und 0,02% für den Thalamus). So werden im Folgenden nur die Werte einer Kohorte dargestellt:
Adjustiert auf das intrakranielle Gesamtvolumen stieg der BVL/BP in der MPCH-Kohorte von 0,20% pro Jahr im Alter von 35 Jahren auf 0,52% im Alter von 70 Jahren an. Die entsprechenden GM-Verluste nahmen von dem niedrigeren zum höheren Alter von 0,32% auf 0,55% zu, der WM-Abbau von 0,02% auf 0,47% jährlich. Die Volumina des Corpus callosum sanken pro Jahr um 0,07% im Alter von 35 und um 0,48% im Alter von 70 Jahren, die des Thalamus um 0,25% bzw. um 0,54% jährlich.
Interessanterweise waren bei diesen Gesunden im Alter von 35 Jahren bereits deutliche GM-Verluste/Jahr feststellbar, aber kaum eine WM-Atrophie. Im Alter von 70 Jahren waren die jährlichen Atrophie-Raten von WM und GM dagegen beinahe gleich. Im Gegensatz dazu wird bei MS-Patienten bereits früh im Verlauf eine ausgeprägte WM-Atrophie beobachtet. Die Thalamus-Atrophie-Rate (repräsentativ für Veränderungen der tiefen GM) war in früheren Studien an MS-Patienten sogar viermal höher als hier für die Probanden mit physiologischem Altern gezeigt. HL
Kommentar

Der physiologische globale und regionale Hirnvolumen-Verlust war in dieser Studie klar altersabhängig und unabhängig von den eingesetzten Scannern. Die ermittelten Werte können u. a. dazu dienen, bei Erkrankungen wie der MS altersabhängige Grenzwerte für einen pathologischen Hirnvolumenverlust festzulegen.

Quelle:

Schippling S et al.: Global and regional annual brain volume loss rates in physiological aging. J Neurol 2017; 264(3): 520-8

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