72. Annual Meeting der American Academy of Neurology (AAN)

Neuro-Depesche 7-8/2020

Trotz Absage: Eine Fülle neuer Erkenntnisse

Bekanntlich sollte das 72. Jahrestreffen der AAN Ende April in Toronto stattfinden. Die COVID-19-bedingte Absage des physischen Treffens hat den wertvollen kollegialen Austausch unterbunden, wichtige Inhalte sind (in knapper Form) aber online verfügbar. Aus der Fülle neuer Erkenntnisse hier einige wenige Einblicke in therapierelevante Studienergebnisse und interessante Forschungsresultate.
MS: Amantadin, Modafinil und Methylphenidat gegen Fatigue?
Fatigue ist bekanntlich eines der häufigsten und am stärksten beeinträchtigenden Symptome der MS, aber für deren Behandlung sind keine Medikamente zugelassen. Jetzt wurde in der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Crossover- Studie TRIUMPHANT-MS untersucht, ob zweimal täglich orales Amantadin (bis zu 200 mg/d), Modafinil (bis zu 200 mg/d) oder Methylphenidat (bis zu 20 mg/d) die Beschwerden bessern können. Die 141 MS-Patienten wiesen auf der Modified Fatigue Impact Scale (MFIS) einen durchschnittlichen Ausgangswert von 51,3 Punkten auf. Nach sechs Wochen fanden sich in der Intentto- Treat-Analyse unter der jeweils maximal tolerierten Dosis durchschnittliche MFIS-Gesamtwerte von 41,2 unter Amantadin, 39,0 unter Modafinil und 38,7 unter Methylphenidat gegenüber 40,7 unter Placebo. Keiner der paarweisen Vergleiche zwischen Verum und Placebo war signifikant (je p > 0,05). Zudem fanden sich u. a. auch keine signifikanten Effekte auf die physischen und kognitiven Subskalen des MFIS. Lediglich in einer post-hoc ausgewerteten Subgruppe von Patienten mit exzessiver Tagesmüdigkeit reduzierten Methylphenidat und Modafinil die Fatigue. Diese Studie unterstützt die teils sehr gängige Praxis der Verordnung eines der drei Medikamente definitiv nicht.
 
Frühe NfL-Werte und langfristige MS-Prognose
Schon beim Erstkontakt ist es sinnvoll, Patienten mit einer aggressiven MS zu identifizieren, um die Therapie ggf. frühzeitig zu eskalieren. Jetzt belegte eine prospektive Kohortenstudie den langfristigen prognostischen Wert der Serumspiegel an Neurofilament light chain (NfL): Bei einer Nachbeobachtungszeit von 15 bis 26, median 17,4 Jahren (Bereich: 1) fielen die durchschnittlichen NfL-Serumkonzentrationen bei 67 MS-Patienten innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Diagnose um 38,5 % höher aus als bei den 37 Kontrollen (10,1 vs. 7,26 pg/ml; p = 0,004). Patienten, die einen EDSS-Wert ≥ 4 erreichten, hatten um 73,6 % höhere NfLAusgangswerte. Jene mit NfL-Basiswerten < 7,62 pg/ml erreichten 4,3-mal seltener den prägnanten EDSS-Score ≥ 4 (p = 0,001) – und hatten zum Follow-up-Zeitpunkt auch 8,9-mal seltener eine progressive MS entwickelt (p = 0,034). Die schnellste Behinderungsprogression erfuhren MS-Patienten in der höchsten der drei NfL-Terzile (> 13,2 pg/ml) mit einer EDSS-Zunahme von 0,16 pro Jahr.
 
Statine zur Schlaganfall-Prävention?
Erhöht die Lipidsenkung mittels Statinen vor oder nach einem Schlaganfall das Risiko einer intrazerebralen Blutung (ICB)? In einer Metaanalyse von 19 randomisierten und nicht-randomisierten Studien mit insgesamt 35.842 Teilnehmern fand sich jetzt keine signifikante Korrelation zwischen der Statin-Einnahme und dem Risiko einer (kombiniert primären und sekundären) ICB (relatives Risiko [RR]: 1,03; 95 %-KI: 0,85 bis 1,08). Die Sensitivitätsanalyse ergab lediglich eine tendenziell höhere Wahrscheinlichkeit für eine sekundäre ICB (Odds Ratio: 1,87; 95 %-KI: 91 bis 3,86). Das Risiko einer relevanten zerebralen Ischämie, also Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacke (TIA), als primärer Endpunkt war in der Statin-Gruppe signifikant niedriger (RR: 0,79; 95 %-KI: 0,61 bis 0,87). Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die Vorteile der lipidsenkenden Therapie mit Statinen in der Primär- und Sekundärprävention eines ischämischen Schlaganfalls das Blutungsrisiko bei weitem übersteigen.
 
Triptan/NSAID-Kombi zur Migräne-Akuttherapie
In der doppelblinden Phase-III-Studie MOMENTUM (Maximizing Outcomes in Treating Acute Migraine) war die Kombination von Rizatriptan und dem NSAID Meloxicam (AXS-07) dem Placebo in der Akuttherapie der Migräne überlegen. Die 1.594 zuvor akuttherapierefraktären Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Migräne waren 2 : 2 : 2 : 1 zu einer Einzeldosis von AXS-07, Rizatriptan, Meloxicam oder Placebo randomisiert worden. Zwei Stunden nach Einnahme zeigte sich unter AXS-07 gegenüber Placebo eine jeweils signifikante höhere Rate an Schmerzfreiheit (19,9 % vs. 6,7 %; p < 0,001) und Freiheit von den „Most bothersome symptoms“ (MBS) der Migräne (37 % vs. 24 %; p = 0,002). Der Unterschied ist nicht riesig, für den einen oder anderen Triptan- Non-Responder könnte die Kombination aber hilfreich sein.
Es ist zu hoffen, dass das 73. AAN-Jahrestreffen wieder regulär stattfindet. Nicht nur angesichts der aktuellen Pandemie-Entwicklung in den USA erscheint dies aber mehr als zweifelhaft. JL
ICD-Codes: G93.3 , I64

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