State of the art

Neuro-Depesche 9/2004

Symptomatische Therapie der schmerzhaften sensorischen Neuropathie

Diagnostik und Therapie der sensorischen Neuropathie sind auch für Experten eine Herausforderung. Sogar bei der - eher selten anzutreffenden - adäquaten Versorgung der Patienten sollten Erwartungen auf Schmerzfreiheit gedämpft werden. Neurologen der Ohio State University legten u.a. dar, was bei der symptomatischen Therapie zu beachten ist.

Das Ansprechen auf die Schmerzbehandlung ist sehr individuell, es bedarf oft einiger Therapieversuche. Ein Schmerztagebuch kann bei der Suche nach dem geeigneten Therapieregime und der Dosisfindung helfen. Linderungen um 30-50% sind schon als Erfolg anzusehen. Für Antidepressiva, Antikonvulsiva und Opiate bzw. Nicht-Opioid-Analgetika liegen positive Ergebnisse randomisierter, kontrollierter Studien vor. Zu den häufig praktizierten und in vielen Fällen auch sinnvollen Kombinationstherapien gibt es kaum Daten. Am besten untersucht sind die trizyklischen Antidepressiva (TZA). Mittel wie Amitriptylin, Nortriptylin (je 75-150 mg/d) wirken sowohl gegen den Spontanschmerz als auch die Hyperalgesie. Etwa ein Drittel der Patienten erreicht eine Schmerzreduktion um 50%. Insbesondere bei Älteren sind die häufigen Nebenwirkungen wie z. B. anticholinerge Effekte zu beachten. Die besser verträglichen SSRI sind bei weitem nicht so effektiv. Paroxetin und Citalopram (je 20-60 mg/d) scheinen vergleichbar wirksam, Fluoxetin eher wirkungslos zu sein. Positive Resultate liegen außerdem für das serotonerg und noradrenerg wirkende Venlafaxin (150-375 mg/d) und Bupropion (200-400 mg/d) vor. Unter den Antikonvulsiva wird schon seit längerem Carbamazepin (1000-1600 mg/d) mit gutem bis mäßigem, der TZA-Behandlung vergleichbarem Erfolg eingesetzt. Vor allem bei Älteren hat die Substanz allerdings limitierende Nebenwirkungen. Oxcarbazepin (1200-2400 mg/d) könnte möglicherweise als besser verträgliche Alternative dienen, wenn Studien dies belegen. Phenytoin (300-500 mg/d) scheint ebenfalls mittelstark zu wirken, z.B. in einer Studie nach einmaliger i.v.- Infusion. Es ist aber eindeutig kein Mittel der ersten Wahl. In vielen Studien als besser verträglich erwies sich Gabapentin. Die initiale Dosis beträgt 900 mg/d, die Zieldosis in der Regel 1600 mg/d, bei manchen Patienten sogar 3600 mg/d. Bei rund 25% der Patienten treten Schwindel und bei knapp 30% Müdigkeit auf. Gabapentin ist in vielen Fälle das Mittel der ersten Wahl. Lamotrigin (200 bis 600 mg/d) wurde mit dem Ergebnis einer moderaten Schmerzlinderung bisher in einer kleinen Studie zur diabetischen oder HIV-assoziierten Neuropathie geprüft. Hier werden noch Daten benötigt. Dies gilt auch für die Antikonvulsiva Clonazepam Pregabalin, Topiramat, Valproat und Vigabatrin. Unter den Opioiden liegen bei relativem Mangel an Studiendaten u.a. für Oxycodon Wirksamkeitsnachweise vor. Der Dosisbereich beträgt 40-160 mg/d. Auch Methadon kann in Einzelfällen hilfreich sein. Bei den Nicht-Opioid-Analgetika hat sich Tramadol (200-400 mg/d) als ähnlich wirksam wie die TZA erwiesen. Übelkeit und Obstipation treten bei ansonsten guter Verträglichkeit bei rund 20% der Patienten auf. Es eignet sich als Add-on bei Gabapentin-Therapie oder kann bei dessen Unverträglichkeit als Alternative dienen. Mittel anderer Substanzgruppen sind Mexiletin (orales Lidocain-Analogon), Levodopa und die Lokalanästhetika Capsaicin und Lidocain. Die Ansprechraten sind meist nur mäßig, sie gelten als Mittel der zweiten oder dritten Wahl. NMDA-Antagonisten können bei selektierten Patienten wirksam sein, die zudem die Sedierung tolerieren. Akupunktur scheint auf den neuropathischen Schmerz keine über den Plazeboeffekt hinausgehende Wirkung zu haben. Die transkutane Nervenstimulation hat bei Patienten mit diabetischer Neuropathie offenbar einen Kurzzeiteffekt, hat sich aber in der Praxis nicht als sinnvoll erwiesen. (bk)

Quelle: Mendell, JR: Painful sensory neuropathy, Zeitschrift: NEW ENGLAND JOURNAL OF MEDICINE, Ausgabe 348 (2003), Seiten: 1243-1255

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