Die Untersucher des Epilepsiezentrums lasen verblindet alte EEG's erneut auf einen µ-Rhythmus hin aus. Es fanden sich 46 betroffene Probanden, die eine Epilepsie-Diagnose erhalten hatten. Die detaillierten Untersuchungen ergaben, dass 25 der 46 Patienten (54%) an keiner Epilepsie litten, d.h. sie wiesen weder echte Spikes oder Sharp waves noch dokumentierte epileptische Anfälle auf. Die so identifizierte Gruppe wurde mit einer gleich großen Gruppe alters- und geschlechtsangepasster Patienten mit fokal beginnenden Anfällen verglichen, die klinisch per Video-EEG dokumentiert worden waren, und die auch im EEG eindeutige Epilepsie-Befunde zeigten. Es ergaben sich in der klinischen Präsentation und den EEG-Befunden Gemeinsamkeiten wie die jährliche Zahl der Episoden (21 vs. 24) und ähnliche EEG-Frequenzen (9,3 vs. 10,3 Hz) sowie ähnlich häufig Kopfverletzungen in der Anamnese. In erster Linie fanden sich aber klare Unterschiede: - Patienten mit µ-Rhythmus wiesen signifikant seltener Verwirrungszustände (56 vs. 96%) und orale Automatismen (0 vs. 40%) auf als die Epilepsie-Patienten. Ohnmachten (32 vs. 0%) und sensible Symptome (56 vs. 4%) waren bei ihnen häufiger. - Patienten mit µ-Rhythmus waren bei Auftreten der klinischen Episoden deutlich älter (im Mittel 38,4 vs. 19,8 Jahre). - Ihre klinischen Episoden dauerten wesentlich länger als bei echten Anfällen (im Mittel 155 vs. 2,3 Minuten). - Die µ-Muster-Bursts im EEG hielten länger an als die epileptogene interiktale Aktivität (im Mittel 0,66 vs. 0,11 sek). - Nur 16,3% der Patienten mit µ-Muster wiesen pathologische MRT-Befunde (meist Veränderungen der weißen Substanz) auf - gegenüber 52% der Epilepsie-Patienten (meist Hippokampus-Atrophien). Die multivariate Analyse zeigte u. a., dass Patienten ohne Verwirrtheitszustände während der Episode mit einer 10-40-fach geringeren Wahrscheinlichkeit an einer Epilepsie litten.
EEG-Befund reicht nicht zur Diagnose
Neuro-Depesche 2/2006
µ-Rhythmus als epileptogene Aktivität fehlinterpretiert
Eine Arbeitsgruppe der Johns Hopkins Universität in Baltimore untersuchte Patienten mit µ-Rhythmus nach, bei denen eine Epilepsie diagnostiziert worden war. Es zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der Diagnosen nicht zutrafen.
Quelle: Krauss, GL: Clinical and EEG features of patients with EEG wicket rhythms misdiagnosed with epilepsy, Zeitschrift: NEUROLOGY, Ausgabe 64 (2005), Seiten: 1879-1883