EEG-Befund reicht nicht zur Diagnose

Neuro-Depesche 2/2006

µ-Rhythmus als epileptogene Aktivität fehlinterpretiert

Eine Arbeitsgruppe der Johns Hopkins Universität in Baltimore untersuchte Patienten mit µ-Rhythmus nach, bei denen eine Epilepsie diagnostiziert worden war. Es zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der Diagnosen nicht zutrafen.

Die Untersucher des Epilepsiezentrums lasen verblindet alte EEG's erneut auf einen µ-Rhythmus hin aus. Es fanden sich 46 betroffene Probanden, die eine Epilepsie-Diagnose erhalten hatten. Die detaillierten Untersuchungen ergaben, dass 25 der 46 Patienten (54%) an keiner Epilepsie litten, d.h. sie wiesen weder echte Spikes oder Sharp waves noch dokumentierte epileptische Anfälle auf. Die so identifizierte Gruppe wurde mit einer gleich großen Gruppe alters- und geschlechtsangepasster Patienten mit fokal beginnenden Anfällen verglichen, die klinisch per Video-EEG dokumentiert worden waren, und die auch im EEG eindeutige Epilepsie-Befunde zeigten. Es ergaben sich in der klinischen Präsentation und den EEG-Befunden Gemeinsamkeiten wie die jährliche Zahl der Episoden (21 vs. 24) und ähnliche EEG-Frequenzen (9,3 vs. 10,3 Hz) sowie ähnlich häufig Kopfverletzungen in der Anamnese. In erster Linie fanden sich aber klare Unterschiede: - Patienten mit µ-Rhythmus wiesen signifikant seltener Verwirrungszustände (56 vs. 96%) und orale Automatismen (0 vs. 40%) auf als die Epilepsie-Patienten. Ohnmachten (32 vs. 0%) und sensible Symptome (56 vs. 4%) waren bei ihnen häufiger. - Patienten mit µ-Rhythmus waren bei Auftreten der klinischen Episoden deutlich älter (im Mittel 38,4 vs. 19,8 Jahre). - Ihre klinischen Episoden dauerten wesentlich länger als bei echten Anfällen (im Mittel 155 vs. 2,3 Minuten). - Die µ-Muster-Bursts im EEG hielten länger an als die epileptogene interiktale Aktivität (im Mittel 0,66 vs. 0,11 sek). - Nur 16,3% der Patienten mit µ-Muster wiesen pathologische MRT-Befunde (meist Veränderungen der weißen Substanz) auf - gegenüber 52% der Epilepsie-Patienten (meist Hippokampus-Atrophien). Die multivariate Analyse zeigte u. a., dass Patienten ohne Verwirrtheitszustände während der Episode mit einer 10-40-fach geringeren Wahrscheinlichkeit an einer Epilepsie litten.

Quelle: Krauss, GL: Clinical and EEG features of patients with EEG wicket rhythms misdiagnosed with epilepsy, Zeitschrift: NEUROLOGY, Ausgabe 64 (2005), Seiten: 1879-1883

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