Chronische Migräne

Neuro-Depesche 11-12/2022

Psychologische Faktoren und Chronifizierung

Eine Migräne tritt häufig zusammen mit psychiatrischen Symptomen und Erkrankungen auf. Bei Patienten mit einer chronischen und episodischen Migräne (CM, EM) wurde nun untersucht, ob es unabhängig von einer psychiatrischen Komorbidität psychologische Faktoren gibt, die die Chronifizierung beeinflussen.
Ein italienisches Team wertete die Daten von 130 seit ≥ 2 Jahren erkrankten Frauen im Durchschnittsalter zwischen 44 und 48 Jahren aus. Je 65 Frauen litten an einer CM (≥ 15 Kopfschmerztage [KST] im Monat) und einer EM (< 15 KST im Monat). 65 gesunde Frauen dienten als Kontrollen. Ausschlussgründe waren u. a. Medikamentenübergebrauch, andere neurologische und psychiatrische Krankheiten.
 
Ängste und Befürchtungen
Gegenüber den Gesunden neigten EMund CM-Patientinnen der Pain Catastrophizing Scale (PCS) zufolge signifikant stärker dazu, Schmerzen zu katastrophisieren, sich hilflos zu fühlen und zu grübeln. Alle drei Variablen waren bei CM stärker ausgeprägt als bei EM (p = 0,003; p = 0,002; p = 0,007). Nach dem State- Trait Anxiety Inventory (STAI-X2) wiesen vor allem die CM-Patientinnen eine höhere Trait-Angst (p < 0,001) und Angstbereitschaft auf (p < 0,018) als die Gesunden. Ebenfalls größer war ihre Furcht vor somatischen (p < 0,003) und kognitiven Angstsymptomen (p < 0,001) im Anxiety Sensitivity Index-3 (ASI-3). Die CM-Gruppe hatte eine geringere Schlafqualität nach dem Pittsburgh Sleep Quality Index (PSQI) (p < 0,001), nahm mehr Hypnotika ein und war tagsüber häufiger müde.
Keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen fanden sich hingegen anders als erwartet in depressiven Symptomen nach dem Beck Depression Inventory (BDI-II) und in der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen nach General Decision-Making Style (GDMS). Auch mit Unsicherheiten umzugehen, fiel ihnen u. a. nach der Intolerance of Uncertainty Scale-12 (IUS-12) nicht schwerer. GL
Kommentar
Diese Studienergebnisse weisen darauf hin, dass jenseits einer echten Komorbidität psychologische Faktoren wie eine geringere Schmerztoleranz und vermehrte Ängste für den Verlauf der Migräne entscheidend sein können. Möglicherweise könnten Verhaltensänderungen bzw. -trainings die Gefahr einer Chronifizierung der Migräne verringern.
Quelle: Pistoia F et al.: Behavioral and psychological factors in individuals with migraine without psychiatric comorbidities. J Headache Pain 2022; 23(1): 110 [Epub 26. Aug.; doi: 10.1186/ s10194-022-01485-x]
ICD-Codes: G43.9
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