Prävalenz, Merkmale und Verlauf

Neuro-Depesche 11-12/17

Pseudobulbäre Affektstörung bei ALS

Eine pseudobulbäre Affektstörung (PBA), gekennzeichnet durch pathologische (situativ unangemessene) Gefühlsäußerungen wie Weinen und Lachen ist bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) mit einer geschätzten Prävalenz von 20 bis > 50% alles andere als selten – und häufig fehl- bzw. unterdiagnostiziert. Zudem liegen nur begrenzte Informationen über assoziierte klinische Merkmale und auch den Verlauf vor. Damit befassten sich jetzt US-Neurologen.

Per Tablet im Wartezimmer beurteilten 735 konsekutiv ambulant behandelte ALS-Patienten (2006–2015) ihre PBA-Symptome nach der Center for Neurologic Study- Lability Scale (CNS-LS: 7–35 Punkte) und ihre ALS-bedingten Funktionseinschränkungen/ Symptome nach der Revised ALS Functional Rating Scale (ALSFRS-R). Depressive Symptome wurden mittels Patient Health Questionnaire (PHQ-9; Score ≥ 10) erhoben. Klinisch relevante PBASymptome (CNS-LS-Score ≥ 13) fanden sich bei 209 der 735 Patienten (28,4%). Diese gingen u. a. einher mit bulbären (Erst)symptomen wie Sprechund Schluckstörungen, Defiziten des oberen Motorneurons sowie mit kognitiver Beeinträchtigung, Depression und einer niedrigeren Lebensqualität. In einer multivariaten Analyse prädizierten folgende fünf Faktoren die PBA signifikant: ALSFRS-R-Subscore für Bulbärsymptome und Grobmotorik (je p < 0,001), weibliches Geschlecht (p = 0,012), jüngeres Alter (p = 0,01) und kürzere Krankheitsdauer (p = 0,024). In der Summe resultierte eine Vorhersagegenauigkeit von 74%. Das (von Frauen mit PBA häufiger als von Männern berichtete) Weinen korrelierte hochsignifikant mit der Depression nach PGQ-9 und ging mit einer schlechteren Lebensqualität einher. Auf das insgesamt seltenere, bei Männern häufigere PBA-Symptom Lachen traf dies nicht zu. Ein weiterer Befund bei den 416 Patienten mit wiederholten CNS-LS-Erhebungen war, dass die PBA-Symptome im Krankheitsverlauf relativ langsam zunahmen, um 0,67 Punkte pro Jahr. JL

Kommentar

Obwohl bei den ALS-Patienten mit den Fragebögen CNS-LS und PHQ-9 relativ gut zwischen dem neuropsychiatrischen Symptom PBA und einer depressiven Störung unterschieden werden kann, bestehen zwischen beiden etliche Überlappungen. Dies sollte beim Screening beachtet werden. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Prävalenz und Korrelationen sollten ferner Weinen, Lachen und Depression stets als separate Outcome-Parameter – und nach Geschlecht stratifiziert – erhoben werden. Die Autoren empfehlen insbesondere, das PBAScreening bei Frauen mit ALS, die viel weinen, sehr sorgfältig durchzuführen.

Quelle:

Thakore NJ, Pioro EP: Laughter, crying and sadness in ALS. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2017; 88(10): 825-31

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