Aktuelles vom Fortbildungskolleg

Neuro-Depesche 9/2021

Praxistipps zur Therapie von Patienten mit Depression und ADHS

Neurologen und Psychiater lassen sich regelmäßig bei den Veranstaltungen des Fortbildungskollegs „updaten“. Im Mittelpunkt der online-Veranstaltung vom April 2021 standen die beiden relevanten Krankheitsbilder Depression und ADHS.
Johanniskrautextrakt ebenso wirksam wie synthetische AD Die Diagnose einer unipolaren Depression stellt der behandelnde Arzt anhand von drei Haupt- und sieben Nebenkriterien, so Professor Dr. Hans-Peter Volz, Werneck. Können beim Patienten zwei Haupt- und zwei Nebenkriterien festgestellt werden, liegt eine leichte depressive Episode vor, zwei Hauptund drei bis vier Nebenkriterien stehen für eine mittlere, drei Haupt- und mindestens vier Nebenkriterien für eine schwere depressive Episode. Die S3-Leitline zur Behandlung der unipolaren Depression baut auf der Schweregradeinteilung auf, so Volz. Während bei der leichten Episode das aktive Abwarten an erster Stelle steht, sind es bei der mittelschweren bzw. schweren Episode Psychotherapie oder bzw. und Pharmakotherapie, wobei die Psychotherapie das Primat bildet.
In einer Metaanlyse von 522 randomisierten Doppelblindstudien mit insgesamt 23 AD erwies sich Amitriptylin anhand der Odds ratio (OR) als das effektivste und Reboxetin als das am wenigsten effektive Antidepressivum (AD). Allerdings gab es unter Reboxetin immer noch 37 % mehr Responder (Rückgang der depressiven Symptomatik um ≥ 50 %) als unter Placebo, betonte Volz. In Studien, in denen Johanniskrautextrakt mit Placebo verglichen wurde, ergibt sich eine OR von 1,48. Im Vergleich mit synthetischen AD lag die OR für Johanniskrautextrakt bei 1,01, er war also ebenso wirksam wie die synthetischen AD.
Bei Johanniskrautextrakt handelt es sich um einen Wideraufnahmehemmer der Transmitter Noradrenalin, Serotonin und Dopamin. Hinsichtlich der zu erwartenden unerwünschten Ereignisse bewegt sich Johanniskrautextrakt auf Placeboniveau. Damit gehört er zu den am besten verträglichen Antidepressiva und eignet sich vor allem für nebenwirkungsempfindliche Patienten. Im Vergleich mit Standard-AD werden unter Johanniskrautextrakt um 60 % geringere Abbruchraten aufgrund von Verträglichkeitsproblemen verzeichnet. Auch spezifische Nebenwirkungen wie verlängerte QTc-Zeit, Leberenzyme, Körpergewicht, Überdosistoxizität und sexuelle Dysfunktionen spielen beim Johanniskrautextrakt keine Rolle.
Die zur Zeit noch gültige S3-Leitline zur Therapie der unipolaren Depression ist restriktiv in Bezug auf Kombination und Wechsel von Antidepressiva, fasste Volz zusammen. Hier helfen pharmakodynamische Ansätze weiter. Nebenwirkungen und Interaktionen sind mittlerweile gut bekannt und verstanden. Sie können heute leichter berücksichtigt werden als noch vor einigen Jahren. GS
 
Prof. Dr. Hans-Peter Volz: „Leitliniengestützte Auswahlkriterien von Antidepressiva einschließlich Anwendungsbeispielen“
 
Methylphenidat auch bei adulter ADHS Therapie der Wahl
ADHS persistiert in einer sehr unterschiedlichen Symptomausprägung bei 50 % bis 80 % der im Kindesalter Betroffenen in das Erwachsenenalter, berichtete Dr. Christian Konkol, Bersteland. Über die Lebensspanne betrachtet, geht die Erkrankung in der Regel nicht nur mit erheblichen negativen psychosozialen Auswirkungen einher, auch die Komorbidität mit körperlichen und weiteren psychiatrischen Erkrankungen ist sehr hoch.
Entgegen der häufigen Annahme, dass eine ADHS zunehmend häufiger diagnostiziert wird, sagte Konkol, ist die Prävalenz in bevölkerungsbasierten Stichproben weitgehend stabil geblieben. Bei den jüngeren Menschen liegt die Häufigkeit einer ADHS-Diagnose bei 4 % bis 8 % und bei den Älteren bei 2 % bis 4%. Das Geschlechterverhältnis (männlich zu weiblich) beträgt bei den Patienten bis zu 18 Jahre 4 : 1. In der Gruppe der adulten Betroffenen ≥ 18 Jahre liegt es dagegen bei 1 : 1.
Gegenüber Kindern mit ADHS weisen erwachsene ADHS-Patienten ein anderes, sehr vielfältiges Symptomspektrum auf: Sie werden bspw. rasch unruhig, suchen immer nach aktiver Beschäftigung, halten Frustrationen schlecht aus und fahren oft zu schnell. Viele reden unentwegt, unterbrechen andere und machen unpassende Kommentare. Sie können sich oft schlecht motivieren und arbeiten ineffizient. Die Betroffenen leiden unter lähmender „Aufschieberitis“, so Konkol, sind unorganisiert und haben ein schlechtes Zeitmanagement.
Bei der Festellung einer adulten ADHS unterstützen die Bögen IDA-R (Integrierte Diagnose von ADHS im Erwachsenenalter, revidierte Fassung) den Arzt: Nach einem mittels des ADHS-Screeners der WHO bestätigten Anfangsverdachts (Stufe 1) erfolgt mit Hilfe der Kurzversion der Wender-Utah-Rating-Scale die retrospektive Bewertung der ADHS-Symptome in der Kindheit (Stufe 2). Ein strukturiertes Interview auf Basis der DSM-5-Kriterien (Stufe 3) erlaubt Rückschlüsse auf eine aktuelle ADHS-Psychopathologie, schließlich wird die Diagnose gestellt (Stufe 4).
Die multimodale Therapie adulter ADHS-Patienten, die – so die Voraussetzung – durch die Erkrankung relevant beeinträchtigt sind, steht auf vier Säulen: Psychoedukation (bzw. „Coaching“), Psychotherapie und Pharmakotherapie sowie ergänzende Behandlungsoptionen. Empfohlen wird eine Kombination von Pharmakotherapie und störungsorientierter Psychotherapie.
Wie bei Kindern stellt retardiertes Methylphenidat (MPH) auch bei Erwachsenen die medikamentöse Therapie der ersten Wahl dar. Der Dopamin-Wiederaufnahmehemmer wird in Dosen von 0,5 bis 1 mg/kg KG bzw. maximal 80 mg/d MPH verabreicht. Wegen eventuell auftretender Tachykardie und Hypertonie sollte vor Therapiebeginn eine kardiovaskuläre Abklärung und im Behandlungsverlauf eine regelmäßige Kontrolle von Puls und Blutdruck erfolgen. Die Notwendigkeit der Medikation muss mindestens einmal im Jahr überprüft werden. Die aktuelle, vier Behandlungsarme umfassende COMPAS-Studie belegt, dass die medikamentöse Therapie mit retardiertem MPH bei Erwachsenen erfolgreicher ist als eine Psychotherapie allein. GS
 
Dr. Christian Konkol: „ADHS bei Erwachsenen – ein hyperaktives Update“
ICD-Codes: F90.0

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