ADHS bei Erwachsenen

Neuro-Depesche 9/2016

Nicht unbedingt die gleiche Krankheit wie bei Kindern

Zertifizierte Fortbildung

Bei Erwachsenen kann eine ADHS-Diagnose bislang nur gestellt werden, wenn die Symptomatik bereits im Kindesalter bestand. Daten der Pelotas Birth Cohort Study weisen nun darauf hin, dass dieses Kernkriterium vielleicht unzulässig ist – und möglicherweise auch eine Late-onset-ADHS existiert.

Von 5249 Personen der 1993er Geburtskohorte im brasilianischen Pelotas konnten 81,3% bis zum Lebensalter von bis zu 18 bis 19 Jahren nachverfolgt werden. Auf eine ADHS wurde im Alter von elf Jahren mit der Hyperactivity-Subskala des Strength and Difficulties Questionnaire (SDQ) gescreent und die ADHS-Diagnose nach DSM-IV ggf. anhand klinischer Interviews mit den Eltern (nach dem Development and Well- Being Assessment) gestellt. Im Alter von 18 bis 19 Jahren wurde eine ADHS dann nach DSM- 5-Kriterien (ohne das Kriterium Beginn in der Kindheit!) diagnostiziert.
Im Lebensalter von elf Jahren lag eine kindliche ADHS (kADHD) bei 393 Personen (8,9%) vor, doch im Alter von 18 bis 19 Jahren erfüllten 492 Personen (12,2%) die DSM-5-Kriterien für eine erwachsene ADHS (eADHS).
Interessanterweise überwog bei der kADHS signifikant das männliche Geschlecht (63,9% vs. 47,9%; p < 0,001), nicht aber bei der eADHS, bei der sogar das weibliche Geschlecht deutlich häufiger vertreten war (50,4% vs. 39,0%; p < 0,001). Der IQ war in beiden ADHS-Gruppen deutlich niedriger als bei den Nicht-Erkrankten, in der kADHS-Gruppe noch etwas geringer als in der eADHS- Gruppe (97,2 vs. 96,7).
Die personenbezogene Auswertung ergab, dass sich eine ADHS nur bei 60 Kindern (17,2%) in das Erwachsenenalter fortsetzte. Und nur 60 junge Erwachsene (12,6%) mit einer ADHS wiesen schon in der Kindheit diese Störung auf.
Gemessen anhand von Verkehrsunfällen, kriminellem Verhalten, Teenager-Schwangerschaften, Haftstrafen, Suizidversuchen und komorbiden Erkrankungen lag in beiden Gruppen gegenüber Personen ohne ADHS ein stark erhöhtes Niveau an krankheitsbedingten psychosozialen Beeinträchtigungen vor. JL
Kommentar

Dem Autorenteam zufolge widersprechen die Resultate der etablierten Annahme, dass eine Erwachsenen-ADHS notwendigerweise in der Kindheit beginnen müsse. Sie vermuten die Existenz zweier ADHS-Syndrome mit unterschiedlichen Entwicklungslinien. Somit könnten vielleicht auch Therapieresponse und Prognose unterschiedlich ausfallen.



Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle:

Caye A et al.: Attention-deficit/hyperactivity disorder trajectories from childhood to young adulthood: evidence from a birth cohort supporting a late-onset syndrome. JAMA Psychiatry 2016; 73(7): 705-12

ICD-Codes: F90.

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