70th Annual Meeting der AAN, 21.–27. April 2018 in Los Angeles

Neuro-Depesche 7-8/2018

Neues zur Multiplen Sklerose

Die Multiple Sklerose ist traditionell ein Themenschwerpunkt auf den Jahrestreffen der American Academy of Neurology (AAN). Hier nun einige Erkenntnisse abseits der vielen Präsentationen zu bereits zugelassenen bzw. etablierten MS-Medikamenten, die Ende April auf dem 70th-AAN-Jahrestreffen in Los Angeles vorgestellt wurden.

Wortfindungsstörungen untersucht
 
Für die bei MS-Patienten häufig vorhandenen Wortfindungsstörungen existieren keine spezifischen Tests, erläuterte Rachel Brandstadter, Icahn School of Medicine, New York in der Platform Session S44. Sie stellte die Ergebnisse des neu entwickelten Benennungstests Test of Naming Efficiency (TONE) vor, der bei 100 Patienten mit KIS (n = 18) oder früher MS (n = 82) eingesetzt worden war, um die Sprachprobleme detaillierter zu erfassen. Zur Kontrolle wurde der Controlled Oral Word Association Test (COWAT) zur Wortflüssigkeit eingesetzt, in den allerdings auch die Verarbeitungsgeschwindigkeit einfließt. Die von den MS-Patienten berichteten Wortfindungsstörungen korrelierten mit längeren Antwortzeiten in TONE (p = 0,002), aber nicht mit den COWAT-Resultaten (p = 0,291). Die Regressionsanalyse ergab, dass nur die Dicke des linken parietalen Kortex signifikant sowohl die TONE-Ergebnisse (p < 0,001) als auch die subjektiv berichteten Wortfindungsstörungen (p = 0,005) prädizierte. Die TONE-Werte mediierten sogar die Verbindung zwischen linksparietaler Kortex- Dicke und den Wortfindungsklagen der Patienten (p = 0,049). Somit scheinen hauptsächlich kortikale Veränderungen verantwortlich zu sein.
 
ALKS 8700 in EVOLVE-MS-1
 
Die Einjahres-Zwischenergebnisse der offenen Phase-III-Studie EVOLVE-MS-1 stellte Robert T. Naismith von der Washington University School of Medicine in St. Louis auf der Emerging Science Session vor. Das 2 x täglich oral eingenommene ALKS 8700, ein Prodrug von Monomethylfumarat (MMF), führte bei den 374 auswertbaren RRMS-Patienten zu einer signifikanten Reduktion der MS-Last in der MRT: In der Zahl Gadolinium (Gd)-anreichernder Läsionen kam es unter ALKS 8700 (462 mg/d) gegenüber Baseline zu einer signifikanten Reduktion um 80% (1,5 vs. 0,3; p < 0,0001). Dabei nahm der Anteil an Patienten ohne Gd-+ Läsionen von 66% auf 89% zu und der mit nur ein bis vier Gd+-Läsionen von 26% auf 10% ab. Nach einem Jahr hatten sich nur bei 8,6% der Patienten neue/vergrößerte T2-Läsionen und nur bei 5,6% neue hypointense T1-Läsionen entwickelt. Die jährliche Schubrate betrug am Ende 0,16 (doch es wurde für diese Patientengruppe kein Baseline-Wert angegeben). In der Head-to-head-Studie EVOLVE-MS-2 wird ALKS 8700 mit Dimethylfumarat (DMF) verglichen.
 
AHSCT als Ersttherapie?
 
Die Ergebnisse einer Autologen hämatopoetischen Stammzell-Transplantation (AHSCT) bei immunmodulatorisch nicht vorbehandelten Patienten wurden als Emerging Science Poster vorgestellt. Ausgewertet wurden die Daten von 19 Patienten mit einer „aggressiven“ MS, bei denen zwischen 2004 und 2017 eine AHSCT durchgeführt wurde. Median lagen zwischen Symptombeginn und AHSCT nur neun (2–58) Monate, dennoch betrug der EDSS-Wert initial bereits 6,5 (1,5–9,5). Nach einer medianen Follow-up-Dauer von 30 Monaten (6–118) hatte der EDDS-Wert um median 2 Punkte auf 2,0 (0–6,5) abgenommen (p < 0,05). Kein Patient verstarb, und keiner erlitt in der Nachbeobachtungszeit einen Schub. Bei drei Patienten zeigten sich in den ersten sechs Monaten nach AHSCT neue T2-Läsionen in der MRT, doch danach traten keinerlei neue oder Gd+-Läsionen auf. Fazit: Aufgrund der hocheffektiven Therapie mit schnell einsetzender und anhal
tender Remission sowie beträchtlicher Besserung der Behinderung bietet sich die AHSCT bei „aggressiver“ MS auch als Ersttherapie an.
 
Ibudilast bei progressiver MS
 
Ibudilast ist ein Hemmer u. a. der Phosphodiesterase und des Makrophagen-Migrationshemmenden Faktors. Das mutmaßlich neuroprotektive Medikament wurde in einer Placebo-kontrollierten Phase-II-Studie erfolgreich bei 255 Patienten mit primär oder sekundär progressiver MS eingesetzt, berichtete Robert J. Fox, Cleveland, in der Clinical Trials Plenary Session. In der modifizierten ITT-Analyse (n = 220) verlangsamte Ibudilast (bis zu 100 mg/d) über 96 Wochen die Hirnatrophie-Progression (nach der Brain parenchymal fraction, BPF) als Primärparameter signifikant um 48% (p = 0,04). Zugleich wurde die Verdünnung der Kortexdicke um 80% reduziert (p = 0,004). Außerdem zeigte sich eine Reduktion der Verschlechterung in der Magnetization transfer ratio (MTR) des Hirngewebes um 82% (p = 0,047). Die EDSS-Zunahme wurde allerdings nur nicht-signifikant verzögert (p = 0,29). Gegenüber Placebo deutlich häufigere Nebenwirkungen waren Übelkeit, Diarrhö, Bauchschmerz und Depression. Weder in der Rate schwerer Nebenwirkungen (16% vs. 19%) noch in der der Therapieabbrüche (16% vs. 11%) bestand ein signifikanter Unterschied.
 
Pädiatrische MS in den USA: Neuere Medikamente bei 40%
 
Die US-Verschreibungspraxis der neueren ‚Disease-modifying therapies‘ (DMT) wurde anhand von 1023 pädiatrischen Patienten mit MS (n = 748) oder KIS (n = 271) untersucht. Ein „neueres“ DMT ehielten im durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von 3,5 Jahren 41,9% der Patienten, darunter Natalizumab (n = 101), DMF (n = 100), Rituximab (n = 57) und Fingolimod (n = 37). Dabei wurden diese Medikamente bei 16,8% als Ersttherapie eingesetzt. Die Rate an Nebenwirkungen pro 1000 Patientenjahre (PJ) betrugen: DMF 56,9%; (37,0/PJ), Rituximab 26,3% (16,8/PJ), Natalizumab 21,8% (15,7/PJ) und Fingolimod 10,8% (7,2/PJ). Insgesamt, so die Autoren, zeigen die „neueren DMT“ bei den Kindern und Jugendlichen mit pädiatrischer MS/KIS ein ähnliches (Kurzzeit-)Verträglichkeitsprofil wie bei erwachsenen MS-Patienten. Die vergleichenden Wirksamkeitsdaten sollen bald folgen. JL

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