14th European Headache Federation Congress, 29. Juni bis 2. Juli 2020

Neuro-Depesche 9/2020

Neues zum Kopfschmerz

Auf dem virtuell gehaltenen 14. Kongress der European Headache Federation (EHF) Ende Juni bis Anfang Juli 2020 gab es Vorträge zum gesamten Spektrum der Kopfschmerz-Erkrankungen. So zur Diagnostik, Therapie und Pathophysiologie sowie zu bewährten und neuen Therapieansätzen. Vor allem die Migräne stellte erneut das am intensivsten diskutierte Thema dar – mit zahlreichen neuen Studienauswertungen und Real-World-Erfahrungen mit den inzwischen breit etablierten CGRP-Antikörpern.
Aus den zahlreichen Sessions und vor allem Postern hier eine gemischte Selektion jenseits des CGRP-Ansatzes.
 
Sentinel-Kopfschmerz vor TIA und Schlaganfall
Deuten Sentinel-Kopfschmerzen, definiert als Kopfschmerzen einer neuen oder einer veränderten (stärkere oder häufigere) Art, auf bevorstehende ischämische zerebrale Ereignisse hin? In der letzten Woche vor einer fokalen oder retinalen TIA wiesen 22 von 120 Patienten (18,3 %) Sentinel-Kopfschmerzen auf und vor einem ischämischen Schlaganfall 81 von 550 Patienten (14,7 %). Signifikant mit derartigen Kopfschmerzen vor dem Schlaganfall assoziiert waren Arrhythmien (Odds Ratio: 2,3; p = 0,04). Sentinel- Kopfschmerzen sollten, so die Autoren, Anlass für eine dringende Untersuchung auf einen Schlaganfall sein.
 
MOH: Entzug bessert Angst und Schlaf
Inwieweit sich ein Analgetika-Entzug bei Patienten mit Medication Overuse Headache (MOH) auswirkt, wurde in einer kleinen italienischen Polysomnographie (PSG)-gestützten Studie bei acht Patienten untersucht. Im Vergleich zur Ausgangssituation fand sich nach der Paracetamol-gestützten Entgiftung auf der Hamilton-Angstskala (HAM-A) eine signifikante Reduktion der Angst (p = 0,013). Außerdem wurden in der PSG verschiedene Indikatoren der Schlaffragmentierung (Cyclic Alternating Pattern, CAP) signifikant reduziert. Schlafstabilisierung und Angstreduktion könnten die Compliance mit dem Entzug fördern.
 
EM/CM-Unterscheidung zu starr
Dass der Grenzwert von 15 monatlichen Migräne-/Kopfschmerz- Tagen (MHD), mit dem zwischen episodischer (EM) und chronischer Migräne (CM) unterschieden wird, eher artifiziell ist, belegen Daten der webbasierten CaMEO-Studie mit 16.789 Befragten: Anhand der selbstberichteten monatlichen MHD wurden die Patienten unterteilt in 13.473 mit niederfrequenter EM (LFEM; 0 - 7 Tage), 1.840 mit hochfrequenter EM (HFEM: 8 - 14 Tage), 1.035 mit niederfrequenter CM (LFCM: 15 – 23 Tage) und 441 mit hochfrequenter CM (HFCM; ≥ 24 Tage). Schwer beeinträchtigt nach MIDAS (Grad 4) waren in den vier Gruppen 12,8 %, 51,9 %, 66,3 % und 70,1 % und nach der Migräne Interictal Burden Scale (Score ≥ 5) 19,2 %, 38,2 %, 46,7 % und 58,3 % der Befragten. Eine Depression (PHQ-9 ≥ 10 Punkte) wiesen 27,6 %, 47,3 %, 54,9 % und 60,8 % der Migräne-Patienten auf. Angesichts der sehr ähnlichen Belastungen von HFEM- und LFCM-Patienten erscheint die Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen, die ja nicht zuetzt teils sehr verschiedene Therapieoptionen zur Folge hat, als unangebracht starr.
 
Migräne: Ausfall von 100,4 Mrd. EUR pro Jahr
„Poster of the Day“ (29.6.): Prävalenzschätzungen zufolge leiden 15,5 Mio. Menschen ≥ 20 Jahre in Deutschland an einer Migräne. 60 % weisen pro Monat ≤ 4 Kopfschmerz-Tage auf, 5,4 % ≥ 15 (= CM). Von den insgesamt 836 Mio. Kopfschmerz-Tagen pro Jahr entfallen 65 % auf Frauen. Die sozioökonomischen Kosten – Verluste an bezahlten und unbezahlten Stunden, basierend auf Fehlzeiten und Präsentismus etc. – betragen jährlich 100,4 Mrd. EUR (durchschnittlich 6.493 EUR pro Patient). Innovative Migräne- Therapien, so die Schlussfolgerung der deutschen Autoren, besitzen einen hohen Wert für die Gesellschaft.
 
Prednison gegen episodischen CK
„Poster of the Day“ (30.6.): Solange es keine effektive Prophylaxe gibt, stellt orales Prednison offenbar eine wirksame Kurzzeitprävention für episodischen Clusterkopfschmerz (CK) dar: Unter 118 Erwachsenen reduzierten 100 mg/d Prednison (n = 53) innerhalb der ersten Woche die durchschnittliche Anzahl von CKAttacken im Vergleich zu Placebo (n = 56) um 25,3 % (7,1 vs. 9,5 Attacken; p = 0,02). Eine Attackenreduktion ≥ 50 % erreichten 25 vs. 8 Patienten (49 % vs. 14,5 %), gänzlich ohne Attacke blieben in dieser Woche 17 vs. 4 Patienten (34,7 % vs. 7,4 %).
 
5-HT-Rezeptor-Subtypen im TG lokalisiert
Dänische Forscher haben die lokale Expression von Serotonin (5-HT)-Rezeptoren im trigeminalen System (TG) untersucht. Erhöht war diese sowohl in Ganglionneuronen als auch in den Nervenfasern. Am stärksten verbreitet war die Expression von 5-HT1D-, gefolgt von 5-HT1B- und zuletzt 5-HT1F-Rezeptoren. Interessanterweise fanden sich 5-HT1D-Rezeptoren gehäuft an den Ranvier'schen Schnürringen von Aδ-Schmerzfasern. Dies wirft Licht auf die Wirkorte von Triptanen bzw. Ditanen, selektiven Agonisten an 5-HT1B/1D- bzw. an 5-HT1F-Rezeptoren. JL
ICD-Codes: I64 , G45.9

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