38. ECTRIMS-Kongress, 26. bis 28. Oktober in Amsterdam

Neuro-Depesche 11-12/2022

Neues zu Klinik, Bildgebung und Biomarkern bei MS, NMOSD und MOGAD

Angesichts von 1.430 präsentierten Abstracts ergab sich beim (hybriden) 38. ECTRIMS-Kongress eine Fülle an neuen Daten zur Multiplen Sklerose (MS) – und etliche Erkenntnisse auch zu den Neuromyelitis-optica-Spektrum- Erkrankungen (NMOSD). 240 Referenten trugen mehr als 8.700 Besuchern aus 108 Ländern vor. Diskutiert wurde u. a. der Einsatz von Disease modifyung therapies (DMT) bei verschiedenen MS-Verläufen.
Hier eine – notgedrungen kleine – Auswahl an Beiträgen vom diesjährigen Kongress in Amsterdam.
 
Auch leichte Schübe sind nicht harmlos
Früh im Verlauf auftretende leichte Schübe bei RRMS-Patienten scheinen keineswegs harmlos zu sein: Sie sind über die folgenden zwei Jahre assoziiert mit einem höheren Risiko für eine nach drei Monaten bestätigte Behinderungsprogression (3mCDW). Dies ergab eine Auswertung des internationalen MSBase-Registers, in der die Schubschwere anhand einer 3-Punkte-Skala von Ärzten eingeteilt wurde. Besonderes Interesse galt den leichten ‚Nondisabling relapses‘ (NDR). Die 285 unbehandelten RRMS-Patienten mit NDRs während der ersten zwei Jahre nach der RRMSDiagnose hatten ein leicht um 29 % erhöhtes Risiko für die Akkumulation von Behinderungen gegenüber den 4.717 Patienten ohne Schübe (Hazard Ratio [HR]: 1,29; 95 %-KI: 1,00 - 1,68). Bei den 1.074 mit Basis-DMTs behandelten Patienten mit NDRs war das Risiko einer 3mCDW gegenüber den 7.262 Patienten ohne Schübe signifikant um 33 % erhöht (HR: 1,33; 95 %-KI: 1,15 - 1,54). Hatten Patienten zu irgendeinem Zeitpunkt hochwirksame DMTs oder eine Stammzelltransplantation erhalten, fanden sich dagegen keine Unterschiede. Auch leichte Schübe sollten daher, so die Forscher, bei der Entscheidung für ein DMT oder eine Eskalation berücksichtigt werden.
 
iCBT besserte die Depression anhaltend
In eine Phase-III-Studie in fünf Zentren in Deutschland und den USA wurden 279 MS-Patienten mit einer selbstberichteten mittelschweren Depression eingeschlossen. Etwa die Hälfte wurde mit Antidepressiva behandelt. 101 MS-Patienten erhielten eine internetbasierte CBT (iCBT) allein, 85 eine iCBT plus wöchentliche E-Mails des Therapeuten mit Chat-Angebot (geleitete iCBT) und 93 eine Treatment as usual (TAU) als Kontrolle. Die Abbrecherquote in Woche 12 betrug 17,9 %. Beide iCBT-Interventionen reduzierten die depressiven Symptome nach dem Beck Depression Inventory - II (BDI-II) in Woche 12 gegenüber der TAU signifikant um 6,32 bzw. 5,80 Punkte (je p < 0,0001). Während die Lebensqualität der Patienten anstieg, zeigten sich keine Verringerungen der Fatigue. Die iCBT-Effekte auf die Depression waren sogar nach 12 Monaten noch nachweisbar. iCBT-Booster-Sitzungen hatten keinen zusätzlichen Nutzen.
 
NfL für Entzündung, GFAP für Progression?
Die Serumwerte des Glial fibrillary acidic protein (GFAP) und der Neurofilament light chain (NfL) scheinen unterschiedliche Aspekte der klinischen MS-Aktivität anzuzeigen. In einer Gruppe von „Progressoren“ (EDSS-Zunahme ohne Schübe) mit erhöhtem Hirngewebsverlust sagten die Baseline(BL)-Werte von GFAP die Atrophie der grauen Substanz (-0,24 % pro Jahr) über 6,5 Jahre signifikant voraus (p < 0,0001), NfL jedoch nicht. Die „Progressoren“ wiesen (nach Adjustierung auf die NfL-Werte) um 51 % höhere GFAP-Spiegel auf als die „Non-Progressoren“ (p = 0,010). Darüber hinaus beeinflussten fokale Entzündungsherde die GFAP-Werte nicht maßgeblich, gingen aber mit signifikant erhöhten NfL-Spiegeln einher (um 53 %, p < 0,001). Im Gegensatz dazu waren die NfL-BL-Werte nur nicht-signifikant mit der Zeit bis zur anhaltenden Behinderungsprogression assoziiert (p = 0,112), die GFAP-BL-Werte aber signifikant (HR: 3,6, p = 0,005). Vereinfacht ausgedrückt könnte NfL eher ein Biomarker für die akute Entzündungsaktivität, GFAP eher ein Marker für das Fortschreiten der MS sein. JL
Deutliche Unterschiede: Hirnvolumenverlust bei NMOSD, MOGAD und MS
In einer retrospektiven Analyse des NYU Multiple Sclerosis Comprehensive Care Centers wiesen 24 MOGAD-, 47 NMOSD- und 40 MS-Patienten ein jeweils signifikant geringeres Gesamthirnvolumen auf als 37 Kontrollen (p = 0,0002, p = 0,042 bzw. p = 0,01). Dies war auch für das Volumen der parietalen grauen Substanz (GM) der Fall (MOGAD: p = 0,02, NMOSD: p = 0,0051 und MS: p = 0,0062).
Das Thalamus-Volumen dagegen war nur in der MOGAD- und MS-Gruppe signifikant geringer als bei den Kontrollen (p = 0,00042 bzw. p = 0,000042), nicht in der NMOSD-Gruppe. Nur bei den MOGAD-Patienten fiel das globale kortikale und das okzipitale GM-Volumen signifikant geringer aus (p = 0,012 bzw. p = 0,0016) als bei den Kontrollen. Die MOGAD-Gruppe wies auch gegenüber der MS- und NMOSD-Gruppen signifikant niedrigere Volumina des Thalamus (MS: p = 0,019, NMOSD: p = 0,018) und des Hippokampus (MS: p = 0,003, NMOSD: p = 0,020) auf. Diese Befunde zuungunsten der MOGAD-Patienten sollten – zumal sie im Laufe der Zeit noch zuzunehmen schienen – näher untersucht werden.

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