Poster vom AAN 2022

Jahrestreffen der American Academy of Neurology (AAN), 4. bis 7. April in Seattle

Neuro-Depesche 5-6/2022

Neues zu Demenz, Parkinson, Myasthenia gravis und mehr

Das Annual Meeting der AAN 2022 wurde vom 4. bis 7. April als Präsenveranstaltung in gewohntem Umfang in Seattle abgehalten. Der drei Wochen später stattfindende virtuelle AAN-Kongress stellte sich als Online-Plattform heraus, die nur Beiträge ausgewählter Sessions und Symposien bereitstellt. Hier in aller Kürze Session- bzw. Posterbeiträge vom echten Kongress zur frontotemporalen Demenz, dem Parkinson-Risiko, der Myasthenia-gravis-Therapie, einem neuen, verträglichen Medikament gegen Tics und mehr …
Aus dem wie in früheren Zeiten gigantischen wissenschaftlichen Kongressprogramm des AAN hier einige Themen.
 
Ravulizumab bei generalisierter Myasthenia gravis
Bei Erwachsenen mit AChR-Ak-positiver gMG erwies sich der terminale Komplement-C5-Inhibitor Ravulizumab als wirksam und sicher. In der 26-wöchigen Doppelblindphase der CHAMPION MG-Studie hatten 39 Ravulizumab (alle 8 Wochen 3.000 bis 3.600 mg) und 41 Patienten Placebo erhalten. Bei den kontinuierlich von Anfang an mit Ravulizumab behandelten Patienten verbesserte sich der Score der Myasthenia Gravis - Activities of Daily Living (MG-ADL) gegenüber Baseline in der offenen Verlängerung (OLE) in Woche 52 signifikant (-4,2; p < 0,0001). Bei den Patienten, die von Placebo auf Ravulizumab gswitched wurden, sank der MG-ADL-Score bis Woche 26 ebenfalls signifikant (-2,4; p < 0,01). Ravulizumab wurde gut vertragen, bislang traten keine Meningokokkeninfektionen auf.
 
FDG-PET-Befunde bei präsymptomatischer FTD
Bei Trägern von Mutationen im GRN-Gen liegen offenbar schon in der präsymptomatischen Phase der frontotemporalen Demenz (FTD) Glukosestoffwechselstörungen im Gehirn vor. In FDG-PET-Aufnahmen über fünf Jahre wiesen 27 asymptomatische Verwandte ersten Grades von Patienten mit GRN-assoziierter FTD gegenüber 31 Verwandte ohne diese Mutation einen deutlichen Glukose-Hypometabolismus im linken Gyrus temporalis medius auf. Darüber hinaus fand sich in mehreren ‚Regions of Interest‘ wie rechtem Gyrus temporalis medius und supperior, linkem Lobus parietalis inferior und bilateral im Precuneus eine deutlich, teils 20 % betragende Reduktion der annualisierten Glukose-Stoffwechselrate, die überdies mit erhöhten Plasmakonzentration des Axonschaden-Markers Neurofilament light Chain (NfL) korrelierte. Diese Befunde könnten möglicherweise dem Monitoring dienen, bevor sich hirnstrukturelle Veränderungen einstellen.
 
Senken β2AR-Agonisten das Parkinson-Risiko?
Nachdem der bei obstruktiven Atemwegserkrankungen eingesetzte selektive β2-Adrenorezeptor (β2AR)-Agonist (syn. Beta-2-Sympathomimetikum) Salbutamol in früheren Studien das Parkinson-Risiko zu reduzieren schien, wurden jetzt die Subgruppen dieser Substanzklasse auf diesen Effekt untersucht. Unter 11.075 Patienten ergab sich in der Tat ein deutlich geringeres Parkinson-Risiko, wenn diese einen kurzwirksamen β2AR-Agonisten (SABA) (Hazard Ratio [HR]: 0,85), einen langwirksamen (LABA) (HR: 0,87) und einen ultralangwirksamen β2AR-Agonisten (Ultra-LABA) (HR: 0,59) erhalten hatten. Die Adjustierung auf das Bildungsniveau und Nikotinersatztherapie änderte die Zusammenhänge kaum, sie wurden aber durch den Ausschluss von Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung abgeschwächt. Jetzt war das Parkinson-Erkrankungsrisiko aber immerhin noch für die Ultra-LABA-Klasse signifikant (HR: 0,65) reduziert.  
 
Serielle Riechtests zur Diagnose des prodromalen Morbus Parkinson
Auswertungen der zwölfjährigen Studie Parkinson Associated Risk Syndrome (PARS) ergaben, dass sich serielle Riechtests (UPSIT) zur Diagnose prodromaler Stadien eignen: Von 155 Teilnehmern, die zu Studienbeginn hyposmisch waren, kehrten 46 (30 %) zur Normosmie zurück. Keiner von 88 anfänglich normosmischen Probanden und nur 1 von 46 Revertern (2%) entwickelten im Folgenden Parkinson-Zeichen gegenüber 23 von 109 Probanden (21%) mit anhaltender Hyposmie. Eine anhaltende Hyposmie hatte eine Sensitivität von 96% und eine Spezifität von 61% für die Entwicklung klinischer oder Bildgebungs-Parkinson-Zeichen, verglichen mit 100% bzw. 40% für eine Hyposmie bei einem einzelnen Anfangstest. In Cox-Modellen, die potenzielle Störfaktoren berücksichtigen, betrug die Hazard Ratio für die Entwicklung einer Parkinsonkrankheit bei konsistenter Hyposmie gegenüber Revertierten 10,2 (95 %-KI: 1,3–77,2, p = 0,03).

 

Eine anhaltende Hyposmie hatte für die Entwicklung klinischer oder Bildgebungzeichen eine Sensitivität von 96 % und eine Spezifität von 61 %. Die Hazard Ratio für die Entwicklung eines Morbus Parkinson lag bei anhaltentender konsistenter Hyposmie gegenüber zur Normosmie revertierten Probanden bei 10,2 (95%-KI: 1,3 bis 77,2; p = 0,03).
 
Ecopipam gegen Tics bei Kindern mit TS
Ecopipam ist ein selektiver Dopamin-D1-Rezeptorantagonist, der Tics reduzieren kann und sich in der klinischen Entwicklung für pädiatrische Patienten mit Tourette-Syndrom (TS) befindet. Jetzt verlief eine Studie mit 149 TS-Patienten erfolgreich. Sie hatten einen Yale Global Tic Severity Total Tic Score (YGTSS-TTS) von ≥ 20. In der Veränderung des YGTSS-TTS von Baseline bis Woche 12 war Ecopipam Placebo signifikant mit einem durchschnittlichen Unterschied (Δ) von -3,44 Punkten signifikant überlegen (p = 0,011). Dies entspricht einer etwa 30 %igen Reduktion mit einer Effektgröße von 0,48. Ecopipam war sowohl bei den 6- bis 11-Jährigen (Δ -4,95; p = 0,054) als auch bei den 12- bis 17-Jährigen (Δ -3,37; p = 0,035) wirksam. Zudem fiel auch die Bewertung der Clinical Global Impression of Tourette Syndrome Severity in Woche 12 mit einer signifikanten (p = 0,001) Verbesserung um 0,91 Punkte zugunsten Ecopipam aus (Placebo: Verbesserung um 0,5 Punkte). Anders als die üblicherweise zur TIC-Behandlung eingesetzten Medikamente wie die D2-Rezeptor-Antagonisten Haloperidol, Pimozid und Aripiprazol verursachte Ecopipam keine Gewichtszunahme und keine tardiven Dyskinesien. Häufigste UE waren Kopfschmerz (9,2 %), Müdigkeit (6,6 %), Schläfrigkeit (6,6 %) und Unruhe (5,3 %).
 
Erstes Brain-Computer-Interface beim Menschen
In einer ersten Studie am Menschen, SWITCH, wurde vier ALS-Patienten endovaskulär eine Gehirn-Computer-Schnittstelle implantiert. Sie greift die Signale der Bewegungsplanung im präzentralen Gyrus ab und übermittelt sie über einen Dekoder zu einem externen Laptop. Allen vier Patienten geht es gut. Alle lernten, den Computer über Eye-Tracking zu bedienen. Einem gelang es, den Computer allein durch seine Gedanken zu steuern. JL
ICD-Codes: G20
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