Virtueller 94. Kongress der DGN, 3.-6. November 2021

Neuro-Depesche 1-2/2022

Neues zu COVID-19, Multipler Sklerose, Parkinson, Epilepsie und mehr

Live. Interaktiv. Digital. So präsentierte sich der 94. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Anfang November 2021, der angesichts der COVID-19-Pandemie rein virtuell stattfand. Fast 7.000 Menschen fanden sich online zusammen, um den Vorträgen von mehr als 200 Referent(inn)en zu folgen und ggf. per Chat Fragen zu stellen.
Auf drei Kanälen wurden die Live-Sessions gestreamt. Daraus hier einige Themen.
 
Neurologische Probleme durch SARS-CoV-2
Neurologische Akutkomplikationen der COVID-19-Infektion umfassen u. a. Schlaganfälle. Mit einer Prävalenz von ca. 1,5 % der im Krankenhaus behandelten Patienten sind sie häufiger als bei anderen Virusinfektion, insgesamt aber relativ selten, so Prof. Götz Thomalla, Hamburg. Betroffen sind meist Personen mit einem ausgeprägten kardiovaskulären Risikoprofil. COVID-19-assoziierte Enzephalopathien werden bei etwa 8 % der hospitalisierten COVID-19-Patienten gesehen, schilderte Prof. Julian Bösel, Kassel. Sie können die Mortalität versechsfachen.
 
Wertvolle Epilepsie-Register
Das 1999 gestartee europäische Epilepsie-Schwangerschaftsregister EURAP (www.eurap.de) stellte Hajo M. Hamer, Erlangen, vor. Es befasst sich mit der Teratogenität von „Anti Seizure Medications“ (ASM), so der aktuelle, korrekte Terminus, und umfasst inzwischen mehr als 28.200 Schwangerschaften aus 45 Ländern. EURAP „hat uns extrem geholfen“, die Medikation vor und in der Schwangerschaft einzustellen, um Embryopathien zu vermeiden, berichtete Yvonne G. Weber, Aachen. Um teilzunehmen kann die nationale Koordinatorin Prof. Bettina Schmitz, Berlin, unter eurap@vivantes.de kontaktiert werden. Mehr als 9.500 Fälle umfasst das Register DESIRE (www.epilepsydesireproject.eu) zur Epilepsiechirurgie und Neuropathologie mit einer Follow-up-Dauer von mehr als 25 Jahren.
 
Zwei distinkte Parkinson-Typen?
Wie Prof. Per Borghammer, Aarhus, ausführte, lässt die Summe an Erkenntnissen aus Pathologie, Bildgebung, klinischer Präsentation den Schluss zu, dass vermutlich zwei Parkinson-Subtypen existieren, die sich u. a. durch die Art nicht-motorischer Symptome (NMS) unterscheiden. Harmonierend mit der „Dual-Hit-Hypothese“ (Heiko Braak) nimmt der erste Typ („Brain first“) primär im Gehirn seinen Ursprung, befällt dort die klassischen Strukturen (S. nigra) und breitet sich erst anschließend in andere Körperregionen aus. Diesem Typ sind u. a. olfaktorische Dysfunktionen und depressive Symptome als Frühsymptome zuzuordnen, während sich Symptome des autonomen Nervensystems bei diesen Patienten erst später manifestieren, so Borghammer. Beim zweiten Subtyp („Body first“) dagegen beginnt die Erkrankung vermutlich im Darm, breitet sich über dessen Innervierung (N. vagus) aus und gelangt erst sekundär ins Gehirn. Dieser Ausbreitungsweg kann Prodromalsymptome wie gastrointestinale Motilitätsstörungen (Obstipation) und REM-Schlafstörungen erklären.
 
„Tele-Stroke und Flying Interventionalist“
Die telemedizinische Vorab-Kommunikation zwischen Rettungsdienst und angefahrener Klinik mittels Tablet kann deutlich Zeit einsparen und dadurch das Outcome der Patienten mit akutem Schlaganfall verbessern. Wie Prof. Silke Walter, Homburg/Saar, aus dem deutschen Projekt Stroke Angel berichtete, konnte in einer Kohorte von 349 Patienten dadurch die Door-to-CT-scan time (DCT) von 15 auf 8 Min. (p < 0,001) und die Door-to-needle time (DNT) von 29 auf 25 Min. (p = 0,003) signifikant verkürzt werden. Gegenüber der Standardtherapie war die Wahrscheinlichkeit (adj. Hazard Ratio) einer DCT ≤ 10 Min. um den Faktor 2,7 und die einer DNT ≤ 20 Min. um den Fakor 1,8 höher. Zudem ergab sich in zwei Kohorten mit > 1.000 Patienten in der Interventionsgruppe eine um 40 % höhere Wahrscheinlichkeit für eine Lyse.
Mit Ausnahme der Videoforen sind alle Live-Veranstaltungen (nach erfolgter oder nachgeholter Kongressregistrierung) bis zum 31.10.2022 online verfügbar (www.dgnvirtualmeeting.org).
Pro & Kontra Therapie der Multiplen Sklerose
Ein Highlight des DGN-Kongresses war die Pro- und Kontra-Diskussion um die Sk2-Leitlinie Multiple Sklerose. Als „Kontrahenten“ standen sich Leitlinienkoordinator Prof. Bernhard Hemmer, München, und Prof. Mathias Mäurer, Würzburg, gegenüber.
Letzlich ungelöst blieb der Gegensatz zwischen der Leitlinienemfehlung einer stufenweisen Eskalation mit den in drei Wirksamkeitskategorien eingeteilten MS-Medikamenten und dem Ansatz, bei bestimmten Patienten schon frühzeitig hochwirksame MS-Medikamente einzusetzen, wie es die EAN-ECTRIMS-Leitlinie und die Multiple Sklerose Therapie Konsensus Gruppe (MSTKG) empfehlen.
ICD-Codes: G20

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