Deutscher Schmerzkongress, 9. bis 12. Okt. 2019 in Mannheim

Neuro-Depesche 1-2/2020

Neue Migräne-Mittel am Horizont – Teil II

Auf einem Symposium des DGSS im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses am 11. Oktober 2019 in Mannheim berichteten deutsche Experten über die aktuellen und möglicherweise zukünftigen Ansätze zur Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne. Nach dem Bericht über die Gepante der ersten und zweiten Generation (Neuro-Depesche 11-12/2019) hier Teil II zu anderen in Entwicklung befindlichen Substanzen.
Neue Ansätze jenseits von CGRP stellten Charly Gaul, Königstein, und Jan Hoffmann, London, (s. Foto rechts) dar. Ditane: mehr als Triptane? Das im Oktober 2019 von der FDA zugelassene Lasmiditan ist ein 5-HT1B/1D-Rezeproragonist und das das erste Ditan, für das eine randomisierte Proof-of-Concept- Studie mit 130 Migräne-Patienten eine Placebo überlegene, dosisabhängige Wirksamkeit als Akutmedikation belegte, berichtete Gaul.
In die beiden ähnlich aufgebauten randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studien SPARTAN und SAMURAI wurden mehr als 5000 Patienten (3 – 8 Migräneattacken im Monat) eingeschlossen. Sie erhielten bis zu 4 h nach Beginn einer Attacke Lasmiditan 50 mg (nur in SPARTAN), 100 mg oder 200 mg oder aber Placebo.
In der Schmerzfreiheit bzw. Kopfschmerzreduktion nach 2 h sowie in der Freiheit von den Most bothersome symptoms (MBS) war Lasmiditan in beiden Studien Placebo signifikant überlegen und entfaltete eine den Triptanen vergleichbare Wirkung (ca. 40 % Schmerzfreiheit; p < 0,001). Bei den Wirkungen wie den Nebenwirkungen ergab sich eine Dosisabhängigkeit. Ein (mild bis moderat ausgeprägter) Schwindel trat mit 17 % am häufigsten auf.
1978 Teilnehmer wurden anschließend in die offene GLADIATOR-Langzeitstudie eingeschlossen und erhielten über zwölf Monate 100 oder 200 mg/d Lasmiditan zur Migräne-Akutbehandlung. Es zeigte sich, dass sich das Ansprechen auf die Therapie in diesem Zeitraum nicht veränderte: Konstant wurden bei 24 % bis 33 % der Patienten 2-h-Kopfschmerzfreiheit und bei ca. 40 % Freiheit von den MBS erreicht. Eine weitere Studie wies nach, dass in der Lasmiditan-Wirkung zwischen Triptan-Respondern und -Non- Respondern kein Unterschied besteht. Da die Substanz ZNS-gängig ist, sagte Gaul, treten mehr ZNS-bezogene Nebenwirkungen auf als unter Triptanen.
 
PACAP als neuer Angriffspunkt?
Das Pituitary adenylate cyclase-activating peptide (PACAP) 38 ist ein Neuropeptid, das u.a. im parasympathischen System eine Rolle spielt. Es hat eine 100-fach höhere Affinität am PAC-1-Rezeptor als das Vasoactive Intestinal Peptide (VIP) und kann bei Migränepatienten (ohne Aura) Migräne-artige Attacken auslösen – anders als das an 2 der 3 Rezeptoren ebenfalls bindende VIP, so Hoffmann.
Im Tiermodell zeigte sich, dass Rattenhirne nach Gabe von PACAP eine deutlich höhere trigeminale Entladungssfrequenz aufwiesen als unter VIP. In einer zweiten Versuchsreihe wurde ein PAC-1-Antikörper (AA181) mit Sumatriptan verglichen: Beide Substanzen reduzierten die zelluläre Entladungsfrequenz um ca. 40 %. Obwohl eine auf dieser Grundlage durchgeführte klinische Studie keine positiven Ergebnisse lieferte, merkte Hoffmann an, dass das Konzept definitiv noch nicht verworfen ist. Derzeit befinden sich PACAP-Antikörper bzw. PAC-Rezeptor-Antikörper in der klinischen Entwicklung.
 
Weitere Peptide mit therapeutischem Potenzial
Zwei der drei Bestandteile des CGRP-Rezeptors sind austauschbar. Ein Austausch des RAMP1-Moleküls ergibt einen Adrenomedullinrezeptor, ein Austausch des Calcitonin-like-Receptors (CLR) einen Amylinrezeptor. Da CGRP und Amylin nicht nur ähnliche Funktionen haben, sondern auch an den Rezeptoren des jeweils anderen Moleküls binden, birgt der Umbau des CGRP-Rezeptors ein hohes therapeutisches Potenzial. Daher werden Amylin und Adrenomedullin aktuell auf ihre Wirksamkeit bei Migräne untersucht.
 
Orexin A und B im Tierversuch wirksam
Ein weiteres Kandidaten-Peptid ist das im Hypothalamus gebildete Orexin (= Hypocretin). In einer tierexperimentellen Studie zum nozizeptiven duralen Input führte die Injektion von Orexin A in den Hypothalamus zu einer pronozizeptiven Antwort im trigeminalen Nucleus caudalis, während Orexin B das Gegenteil bewirkte. Ein nun neuentwickelter, dualer Orexin- Antagonist hemmte die CGRP-mediierte Gefäßerweiterung und senkte die reizinduzierte Aktivität in Hirnstammkernen. Im Übrigen endete eine andere Studie zur Wirksamkeit der (hier allerdings abends gegebenen) Substanz bei Insomnie nicht positiv. Da eine wichtige Nebenwirkung Müdigkeit sein dürfte, setzt Hoffmann auf diesen Therapieansatz keine sehr große Hoffnung, ergänzte aber, dass Orexin Tierversuchen zufolge gegen die Migräneaura wirksam sein könnte.
 
Auch eine Rolle für Oxytocin?
Da das ebenfalls im Hypothalamus produzierte Oxytocin eine räumliche Nähe (Ko-Lokalisation) zum CGRP-Rezeptor aufweist, könnte seine Gabe die CGRP-Freisetzung theoretisch reduzieren. Eine daraufhin entwickelte nasale Oxytocin-Zubereitung erwies sich jedoch weder für die Akuttherapie der Migräne noch für die Prophylaxe als vielversprechend. JL

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