Der Morbus Parkinson ist mit 250 000 Betroffenen nach der Alzheimer-Erkrankung in Deutschland die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Ihre Zahl wird sich vermutlich in den nächsten 30 Jahren verdoppeln, so Kongresspräsident Prof. Dr. med Günther Deuschl, Kiel zum Hintergrund der intensiven Erforschung (früh-)diagnostischer und neuer therapeutischer Verfahren.
Warum Frühdiagnostik und –therapie?
Angesichts sich erweiternder Möglichkeiten mit „neuromodulatorischen“ Wirkstoffen kommt der frühen Diagnosestellung ein immer größerer Stellenwert zu. Die Therapieaussichten in sehr frühen Stadien sind am höchsten, während beim Auftreten der klassischen motorischen Symptome bereits etwa 7o% der striatonigralen Nervenzellen zugrunde gegangen sind.
Somit richtet sich der Blick einerseits auf die Erkennung früher motorischer Zeichen, wie sie z. B. mithilfe von Akzelerometer oder Gyroskopen erfolgen kann und u. a. mit der Tübinger Erhebung von Risikofaktoren zur Erkennung von NeuroDegeneration (TREND) erforscht wird. Erste Ergebnisse dieser Longitudinalstudie werden PD Walter Maetzler, Tübingen, zufolge Ende 2011 verfügbar sein.
Andererseits gerät die prämotorische Phase, die vielfach durch Symptome wie Depression, Riechstörungen, Obstipation etc. gekennzeichnet ist, in den Fokus. Zeitlich noch weiter vorgreifend wird die präsymptomatische Phase erforscht, bei der es um den Nachweis erster degenerativer Veränderungen z. B. auf molekularer Ebene geht (s. Teil I des Kongressberichts in der April-Ausgabe).
Schließlich wird auch an der Identifizierung Gesunder gearbeitet, die aufgrund genetischer Disposition bzw. familiärerer Belastung, aber auch anderer, teils exogener Faktoren ein erhöhtes Parkinson-Risiko haben. Hierzu bedarf es allerdings aufwändiger longitudinaler Kohortenstudien an älteren Gesunden und Risikopopulationen. Diese könnten zusätzlich vielleicht Wege zu kausalen Therapien aufzeigen.
NMS-Erkennung
Störungen der Riechfunktion wie Hyposmie oder funktionelle Anosmie treten bei mehr als 90% aller Parkinson-Patienten und oft früh im Verlauf auf. Sie sind möglicherweise sogar das Erstsymptom schlechthin, wenngleich sie von den Betroffenen nicht unbedingt wahrgenommen werden. Umgekehrt betrachtet scheinen unter Personen mit unklaren Riechstörungen, die Parkinson-Risikofaktoren wie eine positive Familienanamnese aufweisen, später etwa 10% ein Parkinson-Syndrom entwickeln. Die Pathophysiologie dürfte in erster Linie zentrale Ursachen haben, wenngleich viele Untersuchungen z. B. zur Morphologie des Bulbus olfactorius, keine eindeutigen Ergebnisse haben. U. a. ergab die fMRT Abweichungen zentraler Aktivitätsmuster in Hippokampus und Amygdala.
Die in universitären Einrichtungen entwickelten und eingesetzten Riechtests umfassen sowohl die Identifizierung bzw. Diskriminierung einzelner Gerüche als auch eine Riechschwellenbestimmung und ergeben Schweregrad-Beurteilungen. Verbreitet sind der University of Pennsylvania Smell Identification Test“ (UPSIT) mit 40 mikroverkapselten Riechstoffen oder die wiederverwendbaren „Sniffin‘ Sticks“. Moderne Verfahren haben in der Diagnostik eine dem etablierten DaTSCAN vergleichbare Sensitivität und liefern sogar höhere prädiktive Werte als andere diagnostische Testmethoden. Während die unaufwändigen Geruchstests heute nahezu Teil der Routine-Diagnostik sind, bleiben aufwändigere Verfahren wie die Ableitung olfaktorisch bzw. chemosensorisch evozierter Potentiale vorerst der Forschung oder gutachterlichen Tätigkeiten vorbehalten.
Frühdiagnose durch Bildgebung?
In der prämotorischen Phase oder bei sehr leichter Symptomatik kommt auch der Bildgebung eine immer größere Bedeutung zu. Störungen der präsynaptischen dopaminergen Transmission im Striatum werden mittels SPECT (z.B. mit 123I-FPCIT) oder ggf. auch PET (18F-Dopa) untersucht. Früh zeigt sich hier einer verringerte Radionuklidbindung kontralateral zu betroffenen Körperseite, besonders den hinteren Putamen-Anteilen. Befunde der Frühphase weisen eine sehr hohe Sensitivität auf, die Spezifität ist geringer. Heute bilden diese Verfahren den „Goldstandard“ der Frühdiagnostik, allerdings sind Strahlenbelastung und auch Kosten zu beachten.
Der frühdiagnostische Wert der Hyperechogenität der S. nigra, die mittels transkranieller Sonographie (TCS) untersucht wird, ist noch nicht klar. Die prinzipiell sehr aussichtsreiche und auch differenzialdiagnostisch einsetzbare Methode krankt u. a. daran, dass etwa 10% der Gesunden ebenfalls eine Hyperechogenität aufweisen, viele Patienten ein ungeeignetes Knochenfenster haben und die Untersucher sehr geübt sein müssen. Gegenwärtig wird geprüft, ob auch andere Untersuchungen der S. nigra wie die MRT mit DW- und Inversion-Recovery-Sequenzen frühdia- gnostisch einsetzbar sind.
Zukünftige Therapieoptionen
Themawechsel: Über die in der Pipeline befindlichen Parkinson-Therapien berichteten in Kiel Vincent Ries und Prof. Wolfgang H. Oertel, Marburg. Neben der fortgesetzten Forschung an der Gentherapie und der Transplantation fetaler Vorläuferzellen dopaminerger Neurone werden derzeit auch neue orale Medikamente geprüft. Dies sind z. B. der metabotrope Glutamat-Rezeptor-5-Antagonist AFQ056 zur gezielten Therapie von Dyskinesien, der MAO-B- und Glutamat-Wiederaufnahme-Hemmer Safinamid zur Verlängerung der Dyskinesie-freien On-Zeit bei Patienten mit Fluktuationen und der Histamin-H3-Antagonist BF 2.649 gegen ausgeprägte Parkinson-assoziierte Tagesmüdigkeit. JL