Experimentelle Daten beim Menschen bestätigt

Neuro-Depesche 10/2022

Multiple Sklerose durch Kuhmilchprodukte?

Seit den 1990er-Jahren steht der Verzehr von Kuhmilchprodukten in Verdacht, die Entstehung einer MS zu fördern. Sowohl im Mausmodell als auch bei MS-Patienten fanden deutsche Forscher jetzt Hinweise auf eine pathogene Rolle. Danach kann eine Antikörper-Kreuzreaktivität zwischen Casein und Myelin-assoziiertem Glykoprotein (MAG) zu Demyelinisierungen im ZNS führen.
Bei C57BL/6-Mäusen, die mit Noncasein-Milchantigenen immunisiert wurden, kam es zu keinerlei körperlichen Symptomen. Die mit Rindercasein immunisierten Mäuse dagegen entwickelten Symptome wie Extremitätenschwäche, Greif- und Ganganomalien etc. Die Autopsie ergab Demyelinisierungen im Rückenmark der Tiere, die – beim Fehlen von Immunzell-Infiltrationen – mit IgG-Ablagerung in Verbindung standen.
 
Kreuzreaktivität mit MAG
In einem anderen Experiment wurde nach der Verabreichung des Serums von Casein-immunisierten Mäusen eine Bindung Kasein-spezifischer IgG an Oligodendrozyten-Transkriptionsfaktor-2 (OLIG2)-positiven Oligodendrozyten in Rückenmarkschnitten festgestellt. Dabei wurde eine komplementabhängig induzierte Pathologie durch die Casein-spezifischen Antikörper beobachtet. In weiteren Versuchen wurde Myelin-assoziiertes Glykoprotein (MAG) als kreuzreaktives antigenes Ziel der Casein-IgG identifiziert.
 
B-Zell-Antwort beim Menschen
Die Ergebnisse des Mausmodells wurden durch Humandaten ergänzt: Serumproben von 39 MS-Patienten wiesen signifikant höhere Casein-IgG-Spiegel auf als die Proben von 22 Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen (OND). Neben einer erhöhten Antikörperreaktivität war auch der Anteil an Patienten mit Casein-spezifischen B-Zellen bei MS-Patienten höher als bei OND-Patienten (42 % vs. 28 %; p = 0,0379). Die Reaktivität korrelierte mit der B-Zellantwort auf eine Mischung von ZNS-Antigenen und konnte erneut der MAG-Reaktivität zugeschrieben werden.
Wie die Autoren anmerken, gibt es auch einige epidemiologische Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Milchkonsum und MS-Prävalenz. HL
Fazit
Eingedenk der belegten Heterogenität der MS gehen die Autoren davon aus, dass der Verzehr von Kuhmilchprodukten bei einer Untergruppe von MS-Patienten, die zuvor einen Toleranzverlust gegenüber Rindercasein erlitten haben, die MS verschlimmern kann. Ihre Daten deuten darauf hin, dass Patienten mit Antikörpern gegen Rindercasein davon profitieren könnten, den Konsum von Milchprodukte einzuschränken.
Quelle: Chunder R et al.: Antibody cross-reactivity between casein and myelin-associated glycoprotein results in central nervous system demyelination. Proc Natl Acad Sci U S A. 2022; 119(10)

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