Polypharmazie mit vielen Präparaten

Epilepsie bei geistiger Retardierung

Neuro-Depesche 5-6/2022

Multimorbidität und Polypharmazie-Risiken

In Großbritannien leidet etwa ein Viertel der Menschen mit geistiger Behinderung unter einer Epilepsie – gegenüber nur 0,6 % der Bevölkerung. Auch ihre Sterblichkeit ist hoch. Nun wurden in einer großen Kohortenstudie alle Informationen zu Anfallsmerkmalen, relevanten Komorbiditäten, Psychopharmaka und Antiepileptika-Behandlung, Aufklärung und anderen Merkmalen bei geistig Behinderten zusammengetragen.
Retrospektiv wurden an zehn Zentren in England und Wales 904 geistig behinderte Männer (60 %) und Frauen (40 %) im Durchschnittsalter von 39,9 Jahren eingeschlossen. 320 Teilnehmer (35 %) hatten eine leichte (L-ID) und 584 (65 %) eine mittelschwere geistige Beeinträchtigung (M-ID). Über ein Jahr wurden alle verfügbaren Daten gesammelt. Hier Auszüge:
Körperliche Begleiterkrankungen waren in dem Kollektiv häufig, bei L-ID häufiger als bei M-ID (p < 0,01). Etwa ein Drittel (34 %) wies relevante psychiatrische Diagnosen (Angst, Psychose etc,) auf. Autismus- Spektrum-Störungen lagen bei mehr als einem Drittel (37 %) der Patienten vor. Krampfanfälle (oft generalisierter Art) waren im letzten Jahr bei 64 % aufgetreten (M-ID: 55 %; L-ID: 42 %; p < 0,001). Die Teilnehmer nahmen median zwei Antiepileptika (AED) und insgesamt fünf Medikamente ein. 27 % erhielten Antipsychotika und 25 % Psychopharmaka wie Benzodiazepine und Antidepressiva.
Neun von zehn Patienten (n = 812) hatten im vergangenen Jahr einen Epilepsie-Check durch Psychiater (64 %), Neurologen (22 %) oder Allgemeinärzte (7 %), aber bei 25 % von ihnen wurde im Anschluss kein AED-Behandungsplan erstellt. Und nur 61 % der Teilnehmer (bzw. Angehörigen) hatten eine dokumentierte SUDEP-Aufklärung. Beides fehlte bei den Teilnehmern mit einer leichter ID mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als bei den stärker Behinderten (je p < 0,001) HL
Fazit
Die Forschung zur Epilepsie bei geistig behinderten Menschen ist lückenhaft. Obwohl die Betroffenen ein hohes Maß an Multimorbidität und Polypharmazie aufweisen, fehlt es offenbar an systematisierten Therapieansätzen. Diese wären unerlässlich, um die hohe Sterblichkeit der Betroffenen zu verringern.
Quelle: Sun JJ et al.: Epilepsy related multimorbidity, polypharmacy and risks in adults with intellectual disabilities: a national study. J Neurol 2022 [Epub 24. Jan.; doi: 10.1007/s00415-021-10938-3]
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