Autologe Stammzelltransplantation

Neuro-Depesche 9/2016

MS mit Hochrisikotherapie nahezu gestoppt

Das immunologische Gedächtnis zu löschen, das Immunsystem „neu zu starten“ und damit die Patienten vor Rezidiven zu bewahren ist das Prinzip der autologen Stammzelltransplantation. Dazu eine hochinteressante kanadische Studie.

Mit der Methode behandelte ein Team der Universität von Ottawa zwischen 2001 und 2009 24 Patienten (18 bis 50 Jahre alt, intakte Funktion aller Organe) mit schubförmiger oder sekundär progredienter MS mit rascher Progredienz und schlechter Prognose: Trotz Basistherapie hatten sie in den letzten fünf Jahren einen EDSS von 3 bis 6 erreicht.
Das Vorgehen ist vierzeitig: Bei der zehntägigen Mobilisierung des Knochenmarks wurden die hämatopoetischen Stammzellen mittels Filgastrin vermehrt und durch Cyclophosphamid aus dem Knochenmark ins Blut gelockt. Danach wurden sie mit Hilfe einer Leukopherese isoliert und das Transplantat mithilfe von CD34-Antikörpern von reifen Immunzellen befreit. Bei der anschließenden Konditionierung wurde das alte Immunsystem über vier Tage mit hochdosiertem Busulfan, Cyclophosphamid und Antithymozytenglobulin ausgelöscht. Dann wurden die Stammzellen reinfundiert.
Den primären Endpunkt NEDA (Freiheit von Schüben, EDSS-Progression, neue oder Gd-anreichernde MRT-Läsionen) drei Jahre nach Transplantation erreichten 69,6% der Patienten (95%-KI: 46,6–84,2). Seit nunmehr bis zu 13, median 6,7 Jahren (179 Patientenjahre) ist bei keinem der so behandelten Patienten ein MS-Schub aufgetreten. Vor der Therapie wurden 167 klinische Rezidive über 140 Patientenjahre verzeichnet. Ebenso zeigten sich in den 314 kranialen MRT-Aufnahmen keine neuen Herde. Vor der Therapie waren es dagegen 188 Läsionen auf 48 Scans gewesen. Besonders erwähnenswert: Bis jetzt nimmt kein Patient ein MS-Medikament ein.
Die Progredienz der MS wurde bei 16 Teilnehmern vollständig gestoppt, und 35% der Behandelten zeigten eine anhaltende Verbesserung vorbestehender Behinderungen. Nur bei sieben wurde ein EDSS-Progress beobachtet.
Schließlich wurde auch die Hirnatrophie-Zunahme gebremst: Bei allen Patienten erreichte die Atrophierate wieder das Niveau der normalen Alterung. Außerdem berichteten 40% eine dauerhafte Verbesserung von Sehschärfe, Muskelstärke oder Gleichgewichtsproblemen.
Die Kehrseite der phänomenalen Wirksamkeit: Ein Patient (mit Klebsiella-Sepsis) verstarb 62 Tage nach der Transplantation – bei Verschlusses der Lebervenen – an einer massiven Lebernekrose. Ein weiterer überstand ein sinusoidales Obstruktionssyndrom nur wegen intensivmedizinischer Maßnahmen. GS
Kommentar

Diese Phase-II-Studie zeigt, dass die MS-Aktivität rigoros und langanhaltend gestoppt werden kann. Wegen der andererseits hohen Risiken für den einzelnen Patienten wäre diese Therapie – nach sorgfältiger Nutzen- Risiko-Abwägung – nur für einen kleinen Patientenkreis mit sehr aggressiver MS geeignet. Menschen mit lange bestehender Behinderung würden wohl nicht profitieren.

Quelle:

Atkins HL et al.: Immunoablation and autologous haemopoietic stem-cell transplantation for aggressive multiple sclerosis: a multicentre single-group phase 2 trial. Lancet 2016; 388: 576-85

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