Forensik: Risikorechner zur Gewalttätigkeit

Neuro-Depesche 5-6/2019

Mit OxMIV die gefährlichen Patienten identifizieren

Obwohl Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen ein höheres Risiko für aggressives Verhalten haben, wird letztlich nur eine Minderheit gewalttätig. Um diese Patienten zu identifizieren, testeten jetzt Psychiater im Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzugs die prädiktiven Eigenschaften des Oxford Mental Illness and Violence Tool (OxMIV).

Das 2017 entwickelte Risikobewertungstool OxMIV soll anhand mehrerer, den Krankenakten entnommener Informationen zur Vorgeschichte des psychisch erkrankten Patienten das aktuelle Risiko für Gewalttätigkeit vorhersagen. Zur Validierung wurde jetzt eine Kohorte von 474 Patienten im Alter von 16 bis 65 Jahren gebildet, die unter einer Erkrankung aus dem Schizophrenie-Spektrum oder einer bipolaren Störung litten. Die Teilnehmer wurden in eine gewalttätige Gruppe mit 191 bzw. eine gewaltlose Gruppe mit 283 Patienten unterteilt.
Der OxMIV-Score war in der gewalttätigen Gruppe wie erwartet signifikant höher als in der gewaltlosen Gruppe (median 1,77 %; Interquartil-Spanne [IQR] 2,01 % vs. 4,21 %; IQR: 8,51 %; p < 0,0001). Mit einem Grenzwert von 5 % betrugen die Sensitivität des OxMIV für ein erhöhtes Gewaltrisiko 44 % und die Spezifität 89 %; der positive Vorhersagewert (PPV) lag bei 72 % und der negative Vorhersagewert (NPV) bei 70 %.
In der logistischen Regression waren für die Vorhersage von Gewaltverhalten vier Faktoren signifikant: Erhöht war das Risiko bei früherer Gewaltkriminalität (adjustierte Odds Ratio: 5,29; p < 0,0001), früherem Drogenmissbrauch (adj. OR: 1,80; p = 0,025) und früherem Alkoholmissbrauch (adj. OR: 1,89; p = 0,005), während sich eine kürzlich durchgeführte Behandlung mit Antidepressiva als deutlich risikomindernd darstellte (adj. OR: 0,28; p < 0,0001). HL
Kommentar

Dieser Validierung zufolge lässt sich mit dem Risikobewertungstool OxMIV gewalttätiges Verhalten bei inhaftierten psychiatrischen Patienten vorherzusagen. Es kann daher unter den besonderen Bedingungen des Gefängnisses eingesetzt werden, um die Sicherheit von Gefangenen und Personal zu erhöhen.

Quelle:

Negatsch V et al.: Identifying violent behavior using the Oxford mental illness and violence tool in a psychiatric ward of a German prison hospital. Front Psychiatry 2019 ;10: 264 [23. Apr.; doi: 10.3389/ fpsyt.2019.0026]

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