DSM-IV: Maßstab der ADHD-Diagnostik

Neuro-Depesche 12/2003

Kriterien mit Stärken und Schwächen

Die gegenwärtig gültigen DSM-IV-Diagnosekriterien der Attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD) können als bislang beste empirische Systematik gelten. Es gibt aber auch problematische Bereiche, die meist spezielle Populationen und besondere Situationen betreffen. Hier zusammengefasst einige wichtige Merkmale der Diagnostik nach DSM-IV.

Zwei charakteristische Verhaltensdimensionen kennzeichnen die ADHD-Symptomatik und begründen die Diagnose: - Unaufmerksamkeit: Bei ADHD besteht kein konsistentes Antwortverhalten auf Aufgaben oder Aktivitäten. Beachtung und Memorieren von Regeln und Vorgaben sind vermindert, die Störanfälligkeit ist erhöht. Dieses Symptom muss, um diagnostisch verwertbar zu sein, auf bestimmte Situationen oder Domänen beziehbar sein. Es wird bevorzugt in der Altersgruppe von fünf bis sieben Jahren beobachtet, beim postuliertem Subtyp mit kognitivem Defizit später (acht bis zehn Jahre). - Hyperaktiv impulsives Verhalten ist ebenfalls ein multimodales Konstrukt. Es geht auf Inhibitionsdefizite zurück und ist offensichtlich ADHD-inhärent bzw. keine Funktion anderer psychiatrischer Erkrankungen, wobei natürlich Überlappungen möglich sind. Dieses Symptom wird bevorzugt in der Altersgruppe von drei bis vier Jahren beobachtet. In der ADHD-Diagnostik nach DSM-IV sollten folgende Aspekte bzw. Einschränkungen beachtet werden: - Die beiden DSM-Hauptsymptome Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität sind nur für den Altersbereich von vier bis 16 Jahren validiert. - ADHD ist nicht als statische Psychopathologie sondern als entwicklungsbezogenes relatives Defizit zu betrachten. - Die DSM-Schwellen für ADHD-Symptome wurden hauptsächlich von Studiendaten von männlichen Kindern abgeleitet. - Bis zum dritten Lebensjahr ist die Unterscheidung einer ADHD-Symptomatik von Entwicklungsstörungen bzw. Verhaltensunreife schwierig. - Der erforderliche Beobachtungszeitraum für die Persistenz von Symptomen sollte besser zwölf statt sechs Monate betragen. - Für die Diagnostik von ADHD-Kindern sollen Symptombeschreibungen mehrerer Quellen wie Eltern und Lehrern genutzt werden und übereinstimmen. - Bei vorherrschender Unaufmerksamkeit existiert ein ADHD-Subtyp bzw. eine heterogene Mischung von Kindern mit Trägheit kognitiver Prozesse und selektiven Störungen der Aufmerksamkeit. Die psychiatrische Komorbidität ist geringer und die Prognose besser. - Die DSM-IV-Kriterien sind wenig hilfreich, um ADHD von anderen, häufig auch komorbiden psychiatrischen Erkrankungen und Entwicklungsstörungen abzugrenzen. (EJW)

Quelle: Barkley, RA: Issues in the diagnosis of attention-deficit/hyperactivity disorder in children, Zeitschrift: BRAIN AND DEVELOPMENT, Ausgabe 25 (2003), Seiten: 77-83

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x