Neue Strategien bei Alkoholabhängigkeit

Neuro-Depesche 11/2012

Konsumreduktion als Ergänzung zur Abstinenz

Neun von zehn Menschen mit Alkoholabhängigkeit werden vom Suchthilfesystem nicht erreicht und bleiben – mit äußerst negativen Folgen für die körperliche Gesundheit, die Familie und die Gesellschaft insgesamt – über lange Zeiträume unbehandelt. Nachdem die Abstinenz bei Alkoholabhängigkeit immer noch als obers-tes Therapieziel gilt, schilderten Suchtexperten nun, dass die anfängliche Zieloffenheit mit einer schadensverringernden Reduktion des Alkoholkonsums als sinnvolle Ergänzung der Therapieoption Abstinenz die Hürden senken und vielen Betroffenen den Therapiezugang erleichtern könnte. Ggf. kann der Opioid-Rezeptorantagonist Nalmefene maßgeblich zur anfänglichen Konsumreduktion beitragen.

Die aktuelle Studie „Bestandsaufnahme, Barrieren und Verbesserungsmöglichkeiten von alkoholbezogenen Interventionen in der hausärztlichen Praxis“ zeigt, dass dem Hausarzt bei der Diagnose von Alkoholproblemen und entsprechenden Interventionen eine zentrale Rolle zukommt, aber noch ein erhebliches Defizit in der Aufmerksamkeit gegenüber Suchterkrankungen besteht, schilderte Prof. Jens Reimer, Hamburg. „Entscheidend ist, die oft schambesetzte Alkoholthematik einladend anzusprechen, Negativbewertungen wie ‚Alkoholiker‘ zu vermeiden und den Patienten nicht auf Abstinenz festzulegen“, ergänzte Prof. Joachim Körkel, Nürnberg. Zieloffenheit bedeutet nach den Worten des Psychologen, die aktuellen Möglichkeiten im „sanktionsfreien“ Dialog mit dem Patienten zu besprechen. Neben der Abstinenz für Abstinenzmotivierte sollte die Reduktionsbehandlung Menschen angeboten werden, die (noch) nicht zu einer abstinenten Lebensweise motivierbar sind.

„Eine Relativierung des Abstinenzziels und eine Eröffnung des Reduktionsziels gibt uns sehr viel mehr Möglichkeiten für unsere Patienten“, betonte auch Prof. Karl Mann, Mannheim. Dabei kann die Anti-Craving-Substanz Nalmefene eine wichtige Hilfe zur Reduktion des Alkoholkonsums – ggf. auch als Zwischenschritt zur Abstinenz – sein: In den Studien ESENSE 1, ESENSE 2 und SENSE an insgesamt etwa 2000 an Alkoholabhängigkeit Erkrankten wurden die Tage mit starkem Trinkverhalten (Heavy Drinking Days, HDD) von 19 auf 7 Tage/Monat verringert. Zugleich nahm auch der Gesamt-Alkoholkonsum (Total Alcohol Consumption, TAC) der Betroffenen von 84 auf 30 g/Tag signifikant ab. Den durchschnittlichen Konsumrückgang nach sechs Monaten bezifferte er auf 65%.

Nalmefene könnte „die Tür zur Veränderung aufmachen“ und insbesondere auch dem niedergelassenen Arzt „eine pragmatische Behandlungsoption an die Hand geben, die auch Folgeerkrankungen verhindern könnte“, schilderte Mann in Berlin. Es ist zu hoffen, dass die Behandlungsquote deutlich erhöht werden kann.

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