Bipolar-II-Störung und unipolare Depression

Neuro-Depesche 1-2/2018

Kognitive Beeinträchtigungen im Vergleich

Bei depressiven Patienten bestehen vielfach auch kognitive Dysfunktionen. Jetzt untersuchten Psychiater in einem jungen, unbehandelten Kollektiv, inwieweit sich die kognitiven Profile zwischen den akut depressiven Patienten mit einer Bipolar-II-Diagnose und einer unipolaren Depression voneinander unterscheiden.

An der Studie nahmen 55 depressive Patienten teil, die seit durchschnittlich 4,9 bzw. 2,6 Jahren erkrankt waren und die RDC-Bipolar- II-Kriterien (n = 20) bzw. die DSM-IV-TR-Kriterien einer Major Depressive Disorder (n = 35) erfüllten. Um mögliche Akut- und Langzeiteffekte einer Behandlung mit Antidepressiva bzw. Stimmungsstabilisierern auf die Kognition auszuschließen, waren für die Untersuchung nur junge (18–35 Jahre) und therapienaive Patienten ausgewählt worden.
Alle litten gegenwärtig unter mittelschweren depressiven Symptomen (Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale [MADRS]-Score: 21,55 bzw. 23,20 Punkte) und an Angstsymptomen (nach der Hamilton Anxiety Rating Scale, HAM-A). Soziodemographische Merkmale, IQ und Lebensqualitätsbeeinträchtigung nach SF36 unterschieden sich zwischen den beiden Patientengruppen nicht signifikant.
Mithilfe einer neuropsychologischen Testbatterie wurden die Domänen exekutive Funktionen, Aufmerksamkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Gedächtnis untersucht. 35 nach Alter, Geschlecht und Ausbildung gematchte psychisch Gesunde bildeten die Kontrollen.
In der Gruppe der unipolar Depressiven fand sich eine deutlich langsamere Verarbeitungsgeschwindigkeit (im Trail Making Test-A) als bei den Bipolar-II-Kranken (p = 0,001) und den Kontrollen (p < 0,001), während sich die beiden Letztgenannten hier nicht signifikant unterschieden. Ähnliches zeigte sich für die eingeschränkte kognitive Flexibilität (frontale Exekutivfunktion nach dem Wisconsin Card Sorting Test [WCST] perseverative Fehler), die (nach Bonferroni-Korrektur) nur bei den unipolar Depressiven signifikant schlechter ausfiel als bei den Kontrollen (p = 0,02). Die Effektgröße nach Cohen’s d war mit 0,7 mittelgroß bis groß.
Die u. a. auf Alter, Geschlecht, Ausbildung, gegenwärtige Depressions-, Manie- und Angstschwere kontrollierte Regressionsanalyse ergab, dass sich die Bipolar- von der Unipolar- Gruppe – außer durch die Zahl bisheriger depressiver Episoden (2,60 vs. 1,43; adj. Odds Ratio [OR]: 3,34; p = 0,02) – vor allem durch die Ergebnisse des TMT-A (Completion) mit Signifikanz abgrenzen ließ (adj. OR: 0,85; p = 0,02).
Korrelationen mit der Chronizität (= Jahre seit Krankheitsbeginn) zeigten sich nur in der Bipolar-Gruppe, und zwar mit den Leistungen im Wortgedächtnis (Summenwert Liste A des Chinese Auditory Verbal Learning Test [CAVLT]). Eine Korrelation mit der Zahl an hypomanen oder depressiven Phasen bestand aber nicht. HL
Kommentar

Junge, therapienaive Patienten mit Bipolar- II-Störung in der depressiven Phase zeigen gegenüber unipolar Depressiven eine relativ intakte Kognition, z. B. bzgl. der psychomotorischen Geschwindigkeit und der kognitiven Flexibilität. Dies spricht u. a. für unterschiedliche pathogenetische Prozesse der beiden Erkrankungen und ein differenziertes therapeutisches Vorgehen.

Quelle:

Mak ADP et al.: Cognitive impairment in treatment- naive bipolar II and unipolar depression. Sci Rep 2018; 8(1): 1905 [Epub 30. Jan.; doi: 10.1038/ s41598-018-20295-3]

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