Neuro-Depesche 9/2005

IPS frühzeitig erkennen und therapieren!

Bei dem zum ersten Mal nach der Wiedervereinigung in Deutschland stattfindenden Weltkongress ICPD (Berlin, 4.-9.6.) hatten sich die Experten das hohe Ziel gesteckt, einen Paradigmenwechsel anzustoßen: Hin zu einer sehr frühen Diagnose und Therapie des idiopathischen Parkinson-Syndroms (IPS).

"Die Therapie setzt häufig erst ein, wenn 60% der Nervenzellen abgestorben sind", bedauerte Kongresspräsident Prof. Peter F. Riederer, Würzburg. Nach Hochrechnungen auf Basis von PET-Befunden zieht sich der degenerative Prozess beim IPS dann schon über fünf Jahre hin. Schon mit dem heutigen pharmakotherapeutischen Armamentarium seien bei frühzeitiger Diagnose bessere Behandlungsergebnisse zu erzielen. Riederer sprach sich daher u. a. für folgende Vorhaben aus: - die Erforschung früher Krankheitsmarker und Entwicklung eines Bluttests zum Nachweis von Melanin als Stoffwechselprodukt degenerierender Neuronen; - ein genetisches Screening, das über das bekannte familiäre Risiko hinausgeht; - eine Verbesserung der Sensitivität klinischer Bewertungsskalen; - eine Ausweitung der post-mortem-Forschung, um die Neuropathogenese des IPS besser zu verstehen und Marker zu validieren. Dass die Neuropathologie darüber hinaus auch eine Rolle in der klinischen Qualitätskontrolle spielen kann, zeigte eine Studie der Hirngewebebank Brain-Net. Am deutschen Referenzzentrum für degenerative Erkrankungen an der Klinik der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität waren die Gehirne von 83 Verstorbenen mit Parkinsonsymptomatik auf die Übereinstimmung mit der klinischen Diagnose untersucht worden. Von z. B. 39 Diagnosen "IPS" wurden 32 post mortem bestätigt; fünf Patienten hatten an einer Progressiven Supranukleären Blickparese (PSP) gelitten, je einer an einer Multisystematrophie (MSA) und einem vaskulären Parkinson-Syndrom. Bei 17 klinisch auf MSA behandelten Fällen waren 14 Diagnosen korrekt, drei Patienten wiesen ein IPS auf, einer eine Motor-Neuron-Erkrankung. Insgesamt stimmten 72% der Diagnosen überein, 28% der Patienten wurden aber auf andere Erkrankungen behandelt. Die wichtigsten Parkinson-Frühsymptome erläuterte Prof. Heinz Reichmann, Dresden. Das Auftreten von Riechstörungen ist so charakteristisch, dass Reichmann den "Pizza-Test" zur Frühdiagnostik empfiehlt: 80 bis 90% der Erkrankten verlieren den Sinn für Duftstoffe wie den des Oreganokrauts. Die Verschlechterung des Geruchsinns ist quantitativ und validiert auswertbar. Reichmann beurteilte auch die transkranielle Sonographie positiv, bei der sich die Substantia nigra vermutlich infolge einer hohen Eisenkonzentration als hyperechogen zeigt und damit früh auf ein IPS hindeutet. In einer Studie des Kompetenznetzes Parkinson (KNP) wurden die direkten und indirekten Kosten des IPS in Deutschland analysiert. Die direkten Gesamtkosten für die Kassen lagen bei durchschnittlich 3380 Euro im Halbjahr. Bei starken individuellen Unterschieden waren die Zeiträume der Diagnosestellung und das fortgeschrittene Krankheitsstadium am teuersten. Die Aufwendungen für die Pflegeversicherung betrugen 1330 Euro und für die Rentenversicherung 650 Euro. Der Patient selbst wandte 1490 Euro auf. "Unterm Strich" kostete die gesamte Versorgung eines Parkinsonkranken für ein halbes Jahr 10 030 Euro. Hochgerechnet verursacht das IPS hierzulande bei einer Zahl von rund 160 000 Patienten Kosten bzw. Umsätze in Höhe von drei Milliarden Euro jährlich. Um die kostspielige Frühberentung länger hinauszuzögern, müsse die Krankheit auch unter dem finanziellen Aspekt möglichst früh diagnostiziert und therapiert werden, forderte Prof. Horst Przuntek, Bochum. Ein noch berufsfähiger Parkinson-Patient bezahle seine Behandlung "praktisch selbst". Przuntek plädierte für die Schaffung von Kompetenzzentren, in denen das Expertenwissen für die durchaus komplexe medikamentöse Behandlung gebündelt werde. Dosierung und Medikamentenkombinationen hält der Neurologe bei jedem zweiten Patienten für optimierungsfähig. Als Beispiel nannte er die Begleittherapie mit Antihypertonika, die angesichts der blutdrucksenkenden Wirkung vieler Parkinsonmittel nicht selten überflüssig sei. Die Patienten müssten auch zu einer ausgewogenen, gesunden Ernährung angehalten werden. Unter Rehabilitationsbedingungen ließen sich, so Przuntek, bis zu 50% der Medikamente einsparen. Mit der tiefen Hirnstimulation (Deep brain stimulation, DBS) werden an einigen Unikliniken langjährig schwer erkrankte Patienten erfolgreich behandelt. Dabei werden Elektroden, z. B. im Nucl. subthalamicus, über einen implantierten Impulsgenerator gereizt, der vom Patienten selbst über einen Magneten steuerbar ist. In einer ebenfalls vom KNP unterstützten Studie an der Uniklinik Kiel wurde die Wirksamkeit der DBS erstmals direkt mit der der medikamentösen Behandlung verglichen. Bei 156 Patienten mit schwersten Symptomen besserte die Operation im Vergleich zur sechsmonatigen medikamentösen Therapie die Lebensqualität um 20% und die motorischen Symptome um 40%, berichtete Studienleiter Prof. Günther Deuschl. Deutlich ausgeprägt waren auch die Besserungen der Alltagsaktivität und der emotionalen Ausgeglichenheit. Bei hohen Anfangskosten können durch die - nicht ganz risikolose - operative Behandlung im Lauf der Jahre rund 50% der Medikamentenkosten eingespart werden. (RS)

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