65. (Online-)Kongress der DGKN, 10. bis 12. März 2021

Neuro-Depesche 4/2021

Innovationen in der Diagnostik und Therapie von Hirnerkrankungen

Auf dem online abgehaltenen 65. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) wurden aktuelle Fortschritte diskutiert: so die Vorhersage neurologischer Krankheiten, neue Therapien, Gesundheits-Apps und die adaptive Modulation diverser Hirnareale/ -strukturen bis hin zur Anwendung künstlicher Intelligenz. Die Klinische Neurophysiologie, so die Organisatoren, steht vor bahnbrechenden Innovationen.
Auf einer Pressekonferenz der DGKN wurden die Grundzüge einige der innovativen Entwicklungen skizziert. Mit KI das Gehirn entschlüsseln Die Trends und Potenziale der künstlichen Intelligenz (KI) für die Entschlüsselung physiologischer und pathophysiologischer Hirnfunktionen legte DGKN-Präsident Prof. Felix Rosenow, Frankfurt, dar. Heute werden beispielsweise 14-Tage-Dauer-EEGs mit 100 Kanälen und 1.000 Datenpunkten pro Sekunde durchgeführt. Die computerisierte Auswertung von 121 Mrd. Datenpunkten in einer Big-Data-Analyse zur Diagnostik kann durch KI-Algorithmen dramatisch verbessert werden. Zudem gibt es erste Erfolge, bei Patienten mit Hirninfarkt, Schädel-Hirn-Trauma oder auch akutem Subduralhämatom mit einer gewissen Zuverlässigkeit anhand der Daten von EEG-Elektroden, die im Gehörgang liegen oder sogar implantiert werden, einen epileptischen Anfall vorherzusagen, um rechtzeitig zu intervenieren. Die Datenverarbeitung erfolgt in neuronalen Netzwerken in Kombination mit maschinellem Lernen. Mit dem Training Tiefer Neuronaler Netze (DNN) bei nur sechs Mäusen konnte der Zeitpunkt kurz vor Auftreten des ersten Anfalls mit hoher Sicherheit erkannt werden. Bei einer Epilepsie zeichnet sich durch eine Anfallswarnung in Echtzeit „für die Patient(inn)en ein enormer Gewinn an Lebensqualität ab“, so Rosenow. Nach vorläufigen Studienresultaten (30 Patienten; 185 Anfälle; Sensitivität: 96%, Spezifität: 94%) kam es nur bei neun Patienten zu durchschnittl. 0,4 Fehlalarmen pro Tag.
 
Feedback-gesteuerte Stimulation bzw. Modulation
Die Feedback-gesteuerte, bedarfsgerechte Neurostimulation sieht Prof. Jens Volkmann, Würzburg, als eine zukünftige Therapie bei Bewegungsstörungen wie dem Parkinson-Syndrom. „Neuere Ansätze der Neuromodulation zielen jetzt darauf ab, die zeitliche Dynamik gestörter Netzwerkaktivität zu erfassen und dann adaptiv zu stimulieren, wann immer fluktuierende Symptome es erforderlich machen“, so Volkmann. Das Implantat ist damit gleichzeitig Sensor, der über intelligente Algorithmen krankhafte Erregungsmuster erkennt, und stimulierende Elektrode. Nur bei einer Tremor-Episode wird gezielt moduliert. So sollen u. a. auch Nebenwirkungen der Tiefen Hirnstimulation (THS) wie Dysarthrie oder Ataxie reduziert werden.
Die Entwicklung der adaptiven THS im Sonderforschungsbereich/Transregio RETUNE wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 12 Mio. Euro (für die ersten vier Jahre) unterstützt. Derzeit werden Parkinson-Patienten für die ersten klinischen Tests mit neuartigen adaptiven Elektroden rekrutiert, die Studie soll noch im Jahr 2021 beginnen. Auf längere Sicht sollen nach Volkmanns Vorstellungen auch andere Bewegungsstörungen, etwa als Folge eines Schlaganfalls, mit der adaptiven THS behandelt werden.
 
Aktuelle Publikationen zu „Wearables“
Der Einsatz am Körper getragener, vernetzter Sensoren („Wearables“) weitet sich derzeit enorm aus. Die DGKN listet dazu die folgenden zur Lektüre empfohlenen Publikationen (Autoren) auf: „Wearabales“ bei Multipler Sklerose (Monschein T, Leutmezer F, Altmann P), bei Epilepsien (Surges R), bei Demenzen (Pirker-Kees A, Baumgartner C), in der Schlaganfallmedizin (Baumgartner C, Baumgartner J, Pirker-Kees A, Rump E) und als unterstützendes Tool für den Paradigmenwechsel in der Versorgung von Parkinson-Patienten (Thun-Hohenstein C, Klucken J).
 
Fazit: Zukunftsfach Neurophysiologie: Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist essenziell
Nina Merkel, Frankfurt, Sprecherin der „Jungen Klinischen Neurophysiologen“ wirbt unter den Kolleg(inn)en für die Neurophysiologie als spannendes Zukunftsfach. Schlüssel für den Fortschritt ist dabei die interdisziplinäre Zusammenarbeit – sowohl auf der Ebene der Klinik als auch der Grundlagenforschung. Momentan vernetzen sich auch zahlreiche nicht-medizinische Disziplinen mit der Neurophysiologie wie Informationstechnologie, Virtual Reality und künstliche Intelligenz. „Das macht die Hirnforschung so unheimlich dynamisch und spannend“, so die Neuropsychologin. „Der Fortschritt in der Neurophysiologie wird“, bestätigte Rosenow, „beschleunigt durch künstliche Intelligenz, Machine Learning, weltweiten Datenaustausch, Virtual Reality und Genetik sowie die interdisziplinäre und internationale Vernetzung.“ JL

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