Kopfschmerz-Diagnose nach ICHD-3

Neuro-Depesche 11-12/2019

Hochfrequente episodische Migräne in die chronische Migräne einreihen?

Zertifizierte Fortbildung
Die seit Kurzem vollständig publizierten Kriterien der 3. Edition der International Classification of Headache Disorders (ICHD-3) weisen für die chronische Migräne (CM) einige Schwächen auf. Jetzt machten dänische Kopfschmerz-Experten Vorschläge, wie die CM-Kriterien vielleicht praxisnäher gestaltet werden könnten.
Die aktuellen Kriterien für chronische Migräne umfassen ≥ 15 Kopfschmerz-Tage pro Monat, von denen an ≥ 7 Tagen ein Migräne-artiger Kopfschmerz vorliegen muss. Hier werden also Tage mit beispielsweise Spannungskopfschmerz eingerechnet. Doch sind Patienten mit einer hochfrequenten episodischen Migräne (HFEM; definiert als ≥ 8 Migräne-Tage) ohne Komorbidität an anderen Kopfschmerz- Arten nicht mindestens genauso beeinträchtigt – und bedürfen daher nicht zuletzt auch der gleichen Behandlung?
Zur Klärung dieser Frage wurden aus einem dänischen Register 174 Patienten mit ICHD-3-basierter CM-Diagnose (s. o.) und 176 mit einer HFEM (≥ 8 Migräne-Tage; < 15 Kopfschmerztage) miteinander verglichen.
Die beiden Gruppen zeigten keine Unterschiede in demografischen Merkmalen (Frauenanteil, Alter, Erkrankungsalter) und komorbiden Erkrankungen (zum Beispiel Depression, Angst). Es gab allerdings Ausnahmen: Epilepsie und Asthma/Allergien waren bei den Patienten mit chronischer Migräne häufiger.
Vor allem unterschied sich die Kopfschmerz- Häufigkeit zwischen beiden Gruppen nicht signifikant: Im letzten Jahr waren > 36 Attacken bei 54 (31,0 %) bzw. 42 (24,0 %) und > 30 Attacken bei 56 (32,2 %) bzw. 46 (26,1 %) der CM- bzw. HFEM-Patienten aufgetreten (je p > 0,30). In der Lebenszeit > 100 Attacken wiesen 153 (87,9 %) bzw. 163 (91,8 %) Patienten der CM- bzw. HFEM-Gruppe auf. > 50 Attacken hatten 157 (90,2 %) bzw. 165 (92,6 %) (je p > 0,30). Patienten mit HFEM nahmen sogar deutlich mehr Triptane als jene mit CM (p = 0,01) und zeigten dabei aber sehr ähnliche Responderraten.
Die Patienten mit chronischer Migräne waren häufiger frühberentet als diejenigen mit HFEM (33,5 % vs. 20,8 %; p = 0,00135). Dagegen fielen die Unterschiede in Krankschreibungen und Geldleistungen etc. nicht signifikant aus.
Da HFEM- und CM-Patienten in Bezug auf Chronizität und Beeinträchtigung vergleichbar sind, empfehlen die Autoren, für eine CM-Diagnose künftig ≥ 8 Migräne- Tage pro Monat als Kriterium zu definieren (und dabei das Kriterium der ≥ 15 Kopfschmerz- Tage pro Monat unberücksichtigt zu lassen). JL
Kommentar
In den aktuellen ICHD-3-Kriterien wird die hohe Beeinträchtigung von HFEM-Patienten offenbar nicht adäquat berücksichtigt. Die Ausweitung der CM-Definition auf die HFEM könnte dazu beitragen, Betroffenen mit erheblicher Krankheitslast und ungedecktem Therapiebedarf einen angemessenen Zugang zu den aktuellen Behandlungsressourcen zu eröffnen. Die Autoren räumen ein, dass ihre vorgeschlagenen Kriterien die Anzahl der CM-Patienten ungefähr verdoppelten.


Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle: Chalmer MA et al.: Proposed new diagnostic criteria for chronic migraine. Cephalalgia 2019 [Epub 22. Sept.; doi: 10.1177/0333102419877171]

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