Zwei Millionen Mädchen jährlich

Neuro-Depesche 6/2012

Genitalverstümmelung geht weiter

Meist in afrikanischen Ländern, oft aber auch im Mittleren Osten und in Asien praktiziert, konnte die Genitalverstümmelung von Frauen (Female Genital Mutilation, FGM) noch nicht entscheidend eingedämmt werden. Sie scheint unter Immigranten in westlichen Ländern, die ihre Töchter meist bei einem Heimaturlaub „behandeln“ lassen, sogar zuzunehmen. Dänische Forscher fragten in einer Feldstudie in Äthiopien nach Häufigkeit, Umständen und Motiven dieser körperlich und seelisch langfristig traumatisierenden Misshandlung.

Der von der WHO und der UN verwendete Terminus FGM umfasst 4 Typen mit einer teilweisen oder totalen Entfernung der Klitoris und/oder der Labia minora bzw. majora, einer Verkleinerung der Vaginalöffnung (Infibulation) und sonstigen Prozeduren im Vulva-Bereich wie z. B. Kauterisierung. 15% betreffen die schwerste Form der FGM. In einigen Ländern führen Ärzte, Schwestern, Hebammen und anderes medizinisches Personal die Verstümmelungen durch, beispielsweise zu 61% in Ägypten und zu 34–36% in Kenia und im Sudan.

Äthiopien ist mit 72,7% der Frauen ein besonders stark betroffenes Land. Jetzt wurden im ostäthiopischen Distrikt Kersa in Tür-zu-Tür-Interviews 858 Frauen im gebärfähigen Alter (15–49 Jahre) zur FGM befragt. Die Mehrheit der Interviewten (92,3%) war selbst beschnitten, auf dem Land häufiger als in der Stadt. Nur 327 Frauen (38,5%) gaben an, persönliche Kenntnis von der Praxis der FGM in ihrem Wohnort zu haben. Von ihnen schilderten drei Viertel, dass die Prozedur von örtlichen „Heilern/Heilerinnen“ durchgeführt wird. Als Hauptgrund für die FGM wurde von 198 Frauen (60,3%) angegeben, dass die „sexuelle Hyperaktivität“ der Mädchen verringert werden soll, von einem Viertel die Verhinderung einer vorzeitigen sexuellen Aktivität genannt. 68,8% wussten von keinen akuten oder chronischen negativen Gesundheitsfolgen der FGM.

Eine FGM ihrer Töchter berichteten 288 Frauen (88,1%), bei knapp 80% war die Klitoris ganz oder teilweise entfernt worden, bei 35% waren noch schwerere Verstümmelungen vorgenommen worden. Dabei bestand u. a. eine signifikante Korrelation mit Analphabetentum der Mütter (p = 0.01) und – unerwartet – mit christlichem Glauben (p = 0,003).

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Fazit
?! Weltweit leben 100–140 Millionen Frauen, die zur „Eindämmung der Promiskuität“ oder dem Erhalt der Jungfräulichkeit oder aus „religiösen Gründen“ mit einer FGM misshandelt wurden. Jedes Jahr werden zwei Millionen Mädchen verstümmelt, zumeist im Alter zwischen 4 und 15 Jahren und besonders in muslimischen Bevölkerungsgruppen. Da die FGM hierzulande kein eigener Tatbestand ist, kann sie auch nicht als Auslandsstraftat verfolgt werden. Trotz dringender Forderungen existiert dafür außerdem noch immer kein eigener ICD-Diagnoseschlüssel. Es kann nicht oft genug davor gewarnt werden, die FGM und andere, aus der Steinzeit zu stammen scheinende Rituale aus vermeintlicher Liberalität heraus als kulturelle Eigenart zu tolerieren. Intensive Aufklärung vor Ort dürfte die langfristig aussichtsreiche Maßnahme sein.

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