Schwerer Methylentetrahydrofolat-Reduktase-Mangel

Neuro-Depesche 9/2015

Frühe Betain-Therapie reduziert nicht nur die Patientensterblichkeit

Um die Therapieaussichten von Betain bei einem schweren Mangel des Enzyms Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen, wertete ein niederländisches Ärzteteam die im Zeitraum zwischen 1960 und 2012 verfügbaren Fallberichte und -serien aus. Die Ärzte kamen zu dem Ergebnis, dass frühzeitig verabreichtes Betain die Überlebensrate erhöht und darüber hinaus die psychomotorische Entwicklung der Kinder verbessert.

Betain dient als Methyldonator für die Betain- Homocystein-S-Methyltransferase, ein Enzym, das Homocystein zu Methionin umwandeln kann, wodurch die Homocystein-Konzentration gesenkt und der Methionin-Spiegel normalisiert werden kann. Durch Betain lassen sich viele Symptome des MTHFR-Mangels verhindern bzw. lindern.
Die Literaturrecherche ergab 15 Fallberichte bzw. -serien mit insgesamt 36 Patienten (im Alter von 0–23 Jahren, durchschnittlich 13 Monaten bei Therapiebeginn) mit schwerem MTHFR-Mangel (definiert u. a. durch Methionin < 0,22 mg/dl und Gesamthomocystein > 50 μmol/l im Serum). 26 der 36 Patienten wurden mit Betain (≥ 100 mg/kg/d) behandelt, fünf von ihnen frühzeitig (< 16 Tage), die übrigen verzögert (≥ 16 Tage). Frühtherapie wurde in dieser Studie definiert durch das Alter, d. h. bei Therapiebeginn jünger als alle unbehandelt Verstorbenen zum Zeitpunkt ihres Todes, also < 16 Tage. Keiner der frühzeitig behandelten Patienten verstarb (31% vs. 0%; p = 0,17). Demgegenüber starben von den zehn unbehandelten Patienten neun und von den 21 verzögert behandelten zwei. In acht der elf Todesfälle kam es nach Hypotonie, wiederholten Apnoen, Atemversagen zu Koma und Tod. Zusätzlich verlief die psychomotorische Entwicklung der fünf Patienten mit frühzeitiger Betain-Behandlung im medianen Zeitraum von zwei Jahren praktisch normal. Bei den 19 Kindern mit verzögerter Betain-Therapie war dies nicht der Fall. Der Unterschied war signifikant (p < 0,001).
Eine Subgruppenanalyse aller neun Patienten mit erkrankten, unbehandelt verstorbenen Geschwistern (als genotyp-identische Kontrollen) ergab ebenfalls, dass die Betain-Therapie die Mortalität gegenüber der Nicht-Behandlung signifikant reduzierte (100% vs. 0%; p = 0,002).
Fazit: Bei schwerem MTHFR-Mangel verbessert eine frühe Betain-Behandlung nicht nur das Überleben sondern ermöglicht zusätzlich eine normale psychomotorische Entwicklung. Angesicht dieser Behandlungserfolge und des schmalen therapeutischen Fensters kommen der rechtzeitigen Diagnose und Therapie eine wichtige Bedeutung zu. Zusätzlich könnte hier ein Neugeborenen- Screening Unterstützung bieten. JL
Kommentar

Bei einem MTHFR-Mangel kann Homocystein nicht ausreichend zu Methionin remethyliert werden, es resultieren ein erhöhter Homocystein- und ein erniedrigter Methionin- Spiegel im Blut. Das klinische Bild ist sehr heterogen und hängt insbesondere von der Schwere des Enzymmangels ab: In der (frühen) Kindheit kommt es u. a. zu Gedeihstörung, Hypotonie, Lethargie und Krampfanfällen. Unbehandelte Patienten mit schwerem MTHFR-Mangel sterben oder entwickeln massive Entwicklungsstörungen, die nicht selten zu lebenslanger Pflegebedürftigkeit führen. Ein erhöhter Homocysteinspiegel gilt u. a. als Risikofaktor für Myokardinfarkte, Thrombosen und Schlaganfälle. Besonders das Fehlen von Risikofaktoren beim juvenilen Schlaganfall kann auf einen MTHFR-Mangel hinweisen. Da derzeit kein systematisches Neugeborenen-Screening etabliert ist, dürfte die Dunkelziffer dieser Fälle wahrscheinlich hoch sein.

Quelle:

Diekman EF et al.: Survival and psychomotor development with early betaine treatment in patients with severe methylenetetrahydrofolate reductase deficiency. JAMA Neurol 2014; 71(2): 188-94

ICD-Codes: E72.1

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