Iktale und postiktale Gewalt

Neuro-Depesche 3/2015

Fallserie: Eltern, die ihre Kinder verletzen

Es gibt immer wieder Berichte, nach denen Patienten mit einer Epilepsie in einem oder nach einem Anfall gewalttätig werden. Systematische Untersuchungen dazu fehlen aber weitgehend. Nun wurde die Thematik anhand einer kleinen Fallserie von schwedischen Neurologen näher betrachtet. In allen drei Kasuistiken wurden Kinder von Elternteilen mit einer Epilepsie-Erkrankung das Opfer der Gewalt.

Im ersten Fall erstickte eine 30-jährige Frau mit einer seit dem fünften Lebensjahr behandelten juvenilen myoklonischen Epilepsie ihren zweijährigen Sohn mit einem Kissen. Sie war unter ihrer Medikation nicht anfallsfrei, lebte unter sehr schwierigen psychosozialen Umständen (Trennung vom Kindsvater) und hatte zuvor am selben Tag einen Suizidversuch unternommen. Sie erinnerte sich an die Tat nicht.
Im zweiten Fall handelt es sich um einen Mann Mitte 20 mit posttraumatischen fokalen Anfällen (und hohem Analgetika-Konsum), der wegen sexuellen Missbrauchs und Verletzung seiner nur wenige Monate alten Tochter zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Auch dieser Mann, der heute ein praktisch normales Leben führt, hatte keine Erinnerung an die Tat.
Im dritten Fall schlug eine Frau ihr Kind „unabsichtlich“, aber wiederholt während ihrer Anfälle. Sie litt unter einer fokalen Epilepsie, aber auch zusätzlich unter psychogenen nicht-epileptischen Anfällen (PNES). Die Situation konnte letztlich nicht geklärt werde, der Ehemann kündigte seinen Job, um zuhause aufzupassen.
In allen Fällen weisen die Täter selbst auf einen Zusammenhang mit ihren Anfällen hin, doch eine Kausalität lässt sich weder beweisen noch widerlegen. Statt von einer Verursachung durch die Epilepsie zu sprechen, sollte davon ausgegangen werden, dass Epilepsie-kranke Elternteile für gewalttätige Handlungen eine vulnerable Gruppe darstellen. Menschen mit Epilepsie leiden vermehrt unter komorbiden psychiatrischen Krankheiten einschließlich Psychosen, die das Risiko für weitere Gewalthandlungen verstärken können. Offenbar tragen zusätzliche Faktoren wie psychosozialer Stress, ein niedriges Kognitionsniveau, Alkohol- und Drogenkonsum etc. zum Risiko maßgeblich bei.
Wurde ein Kind schon einmal von Mutter oder Vater mit einer Epilepsie-Erkrankung bedroht oder verletzt, sollte eine gründliche Aufklärung über den Einfluss eines Anfalls erfolgen, aber die Lebensumstände sorgfältig beleuchtet werden. Den Kindern bzw. Familien sollte umfangreiche Unterstützung angeboten werden. JL
KOMMENTAR

Jenseits der Frage nach der direkten Beteiligung des Anfallsgeschehens geht es den Autoren darum, Aufmerksamkeit für die Problematik schaffen, um ggf. rechtzeitig einschreiten und Gewalttaten verhindern zu können. Das Thema ist allerdings mit Fingerspitzengefühl zu behandeln, um Epilepsie- Kranke nicht noch zu stigmatisieren.

Quelle:

Gauffin H, Landtblom AM: Epilepsy and violence: case series concerning physical trauma in children of persons with epilepsy. Neuropsychiatr Dis Treat 2014; 10: 2183-89

ICD-Codes: R45.6

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