International Review of Bipolar Disorders

Neuro-Depesche 10/2004

Empfehlungen zur Therapie der Bipolar-I-Depression

Bislang bestehende Richtlinien zur Behandlung bipolar erkrankter Patienten beschäftigen sich ganz überwiegend mit der Akuttherapie und der Prävention der Manie. Auf der Jahrestagung von Bipolar-Experten des IRBD wurden nun von einer länderübergreifenden Konsensusgruppe Richtlinien zur - bislang alles andere als einheitlichen - Therapie der Bipolar-I-Depression vorgestellt.

Die von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Prof. J. Calabrese, Cleveland/ Ohio und Prof. S Kasper, Wien, erarbeiteten Empfehlungen basieren ausdrücklich nicht auf Expertenmeinungen, sondern auf der Evidenz, die sich aus verfügbaren klinischen Studiendaten ableiten lässt. Im Gegensatz zur vielfach durchgeführten, dennoch inadäquaten Antidepressiva-Monotherapie sehen die nun ausgesprochenen Empfehlungen bei bipolar erkrankten Patienten in der depressiven Phase folgendes Vorgehen vor. Lithium gilt als klassischer Stimmungsstabilisierer, mit dem sich insbesondere reine Manien verhindern lassen. Zahlreiche, wenn auch nicht immer hochwertige Studien belegen die Wirksamkeit von Lithium auch bei bipolarer Depression. Gerade gegenüber Antidepressiva hat sich Lithium als durchgängig besser oder gleichwertig in der Besserung bzw. Verhinderung einer depressiven Symptomatik erwiesen. Aufgrund der Studienlage kann Lithium als die etablierteste Behandlung gelten. Auch für das als Antikonvulsivum bekannte Lamotrigin sprechen die verfügbaren Studiendaten für eine Wirksamkeit gegen die bipolare Depression. Während Lithium besser dem Auftreten manischer Episoden vorbeugte, war Lamotrigin in direkten Vergleichsstudien in der Prävention depressiver Episoden wirksamer. Ferner kam es bei Bipolar-Patienten mit akuter depressiver Episode z. B. in einer Studie unter Lamotrigin-Dosen von 200 mg/d gegenüber Plazebo nach gängigen Ratingskalen zu signifikant höheren Response- und Remissionsraten. Gegenüber Lithium konnte Lamotrigin außerdem in einer plazebokontrollierten Studie den Zeitraum bis zur Intervention aufgrund einer depressiven Episoden signifikant verlängern. Die First-line-Optionen sollten individuell angepasst werden: Während für Bipolar-Patienten mit anamnestischer Dominanz akuter Manien eher eine Therapie mit Lithium geeignet ist, sollte für Patienten mit einer Geschichte ernster Depressionen Lamotrigin bevorzugt werden, so die Experten. Eine kürzlich durchgeführte Studie an Patienten mit Bipolar-I-Depression zeigte, dass die Kombination des Atypikums Olanzapin mit dem SSRI Fluoxetin zu beträchtlich höheren Ansprech- und Remissionsraten führte als Olanzapin allein. Letzteres war wiederum zu allen Untersuchungszeitpunkten ebenfalls signifikant effektiver antidepressiv als Plazebo. Das Auftreten einer Manie war in beiden aktiven Behandlungsgruppen gering. Unter einer offenen sechsmonatigen Erhaltungstherapie mit Olanzapin bzw. Olanzapin/Fluoxetin ergab sich außerdem eine hohe Rate anhaltender Remissionen. Bei Patienten mit bipolarer Erkrankung vom Nonrapid-cycling-Typ, bei denen sich die depressive Symptomatik nicht bessert, wird empfohlen, zwei der First-line-Behandlungen zu kombinieren. Ohne sich auf eine Klasse-1- oder -2-Evidenz stützen zu können, wird empfohlen, alternativ dazu zusätzlich ein Antidepressivum zu verordnen, wegen der Gefahr eines Switch in die Manie tunlichst nicht aus der Klasse der Trizyklika oder MAO-Hemmer. Unter SSRI ist das Umschlagen in die Manie offenbar geringer als unter TZA oder MAO-Hemmer. Auch bei bipolar erkrankten Patienten mit Rapid-cycling und refraktären depressiven Symptomen bietet sich am ehesten die Augmentation der bestehenden Medikation mit Antidepressiva (z.B. einem SSRI) an. Bei Patienten mit andauernder Depression und zusätzlichen psychotischen Symptomen empfiehlt die Gruppe aufgrund der Studienlage, eine Zusatztherapie mit Olanzapin, mit einer Olanzapin/Fluoxetin-Kombination oder eine Elektrokrampftherapie zu erwägen. Sie vermutet, dass sich - bei gründlicher Prüfung - auch andere atypische Antipsychotika bei depressiven Bipolar-Patienten mit Psychose als wirksam erweisen. Bei Auftreten einer sog. "Breakthrough-Manie" sollte die bestehende Medikation optimiert werden. Besteht die Manie weiter fort, liegt nur für die Wirksamkeit einer Lithium-Behandlung eine Klasse-1-Evidenz vor. Medikamente mit Klasse-2-Evidenz umfassen verschiedene atypische Antipsychotika - darunter Olanzapin, Risperidon, Quetiapin, Aripiprazol und Ziprasidon - sowie Valproat. Lediglich eine Evidenz der Klasse 3 besteht für Clozapin und einige klassische Neuroleptika. Ungeachtet der bevorzugten Berücksichtigung medikamentöser Therapieoptionen empfiehlt die Konsensusgruppe "für alle Patienten" dringend den zusätzlichen Einsatz psychologischer Interventionen. Dies kann z.B. in Form einer kognitiven Therapie (CT) und/oder als psychoedukative Maßnahme erfolgen. Diese sind nachweislich wirksam; können u.a. die Compliance erhöhen, die Rückfallrate senken und die soziale Integration verbessern. (JL)

Quelle: Calabrese, JR: International consensus group on bipolar I depression treatment guidelines, Zeitschrift: JOURNAL OF CLINICAL PSYCHIATRY, Ausgabe 65 (2004), Seiten: 571-579

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