Nutzen und Nebenwirkungen von Antidepressiva

Neuro-Depesche 1-2/2017

Die Langzeittherapie aus Patientensicht

Zertifizierte Fortbildung

Zur Behandlung rezidivierender Depressionen werden Antidepressiva zunehmend über sehr lange Zeiträume verabreicht. Welche Wirkungen sich aus Patientensicht erzielen lassen, welche Nebenwirkungen auftreten und wie diese von den Betroffenen bewertet werden, wurde nun in Neuseeland untersucht.

Die Daten stammen aus einer anonymen Online- Befragung von 180 Patienten (79,4% Frauen), die über drei bis 15 Jahre Antidepressiva eigenommen hatten. Bei 83,8% war dies auch immer noch der Fall. Zur antidepressiven Wirksamkeit und Verträglichkeit der Medikation sowie zu Veränderungen der Lebensqualität wurden Ratingskalen eingesetzt. Zudem konnten die Befragten ihre persönlichen Erfahrungen anhand zweier offener Fragen frei formulieren. Die am häufigsten verschriebenen Antidepressiva waren Citalopram (23%), Venlafaxin (18%), Paroxetin (13%), Fluoxetin (13%), Loxamin (7%) und Nortriptylin (3%).
Mit 89,4% berichtete die überwältigende Mehrheit der Teilnehmer, dass die Antidepressiva ihre depressiven Symptome verringert haben. Allerdings gab die Mehrzahl der Patienten an, trotz der Behandlung noch immer unter depressiven Symptomen zu leiden: 49,7% unter einer leichten Depression, 21,8% unter einer mittelschweren und immerhin noch 8,9% unter einer schweren Depression. Keinerlei Depression konstatierten nur 19,6%.
Die Lebensqualität verbesserte sich bei 53,9% ganz erheblich und bei 31,6% geringfügig; eine Verschlechterung berichteten 7,2%.
Die fünf am häufigsten berichteten Nebenwirkungen umfassten Absetzeffekte wie Agitation, Insomnie und Stimmungsschwankungen (73,5%) sowie sexuelle Probleme (71,8%), Orgasmusschwierigkeiten (64,5%) und Gewichtszunahme (65,3%) sowie als unerwünschte psychische Effekte Gefühlsarmut (64,5%). Etliche Patienten gaben an, „sich nicht wie sich selbst zu fühlen“ (54,4%), „weniger positive Gefühle zu haben“ (45,6%), „gegenüber anderen gleichgültiger zu sein“ (36,4%) und „suizidal zu sein“ (36%). Interessanterweise fühlte sich mehr als jeder vierte Befragte von seinen Antidepressiva „abhängig“ (43%).
Etliche Patienten waren über die Nebenwirkungen sehr besorgt, und einige wünschten sich, besser über die Langzeitrisiken und über die Beendigung der Antidepressiva-Einnahme aufgeklärt zu werden. Viele beklagten zudem, dass es sehr lange gedauert habe, bis sie „ihr Antidepressivum“ gefunden hatten. JL
Kommentar

Diese Ergebnisse spiegeln zwei Gesichtspunkte wider: Zum einen scheint die Wirksamkeit der Antidepressiva – im Gegensatz zu vielen Studienergebnissen – über lange Zeiträume anzuhalten. Zum anderen scheint es immer noch an der umfassenden Aufklärung über Nebenwirkungen und (Langzeit-) Risiken sowie an einer fortgesetzten Betreuung der Patienten zu hapern, gerade auch bei einem Absetzen der Medikamente.



Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle:

Cartwright C et al.: Long-term antidepressant use: patient perspectives of benefits and adverse effects. Patient Prefer Adherence 2016; 10: 1401-7

ICD-Codes: F55

Alle im Rahmen dieses Internet-Angebots veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitveröffentlichungen, vorbehalten. Jegliche Vervielfältigung, Verlinkung oder Weiterverbreitung in jedem Medium als Ganzes oder in Teilen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

x