Personal View

Neuro-Depesche 10/2015

„Cognitive enhancement" nicht tabuisieren

Mit diversen Medikamenten lässt sich die kognitive Leistungsfähigkeit – zumindest in Teilaspekten – erhöhen. Sie werden nicht nur von Ärzten eingesetzt, immer mehr gesunde Menschen benutzen sie als „Cognitive enhancer“. Mit den medizinischen und ethischen Aspekten befassten sich jetzt Psychiater in der Rubrik des BMJ „Personal View“.

Störungen von Aufmerksamkeit, Entscheidung, Gedächtnis und Lernen stellen einen wichtigen Symptombereich vieler psychiatrischer und auch neurologischer Erkrankungen dar, z. B. Depression, Schizophrenie, Demenz. Stimulanzien wie Methylphenidat und Amphetamine sowie selektive Noradrenalin-Wiederaufnahme- Hemmer wie Atomoxetin werden bei ADHS, Modafinil bei Narkolepsie und Cholinesterase-Hemmer bei Alzheimer-Demenz eingesetzt. Sie können z. B. als Zusatztherapie auch Psychopharmaka-Nebenwirkungen wie Konzentrationsstörungen, Sedierung etc. verringern. Einige Medikamente zeigen auch bei Gesunden Wirkung, z. B. konnte Modafinil die Aufmerksamkeit mit einer mittleren Effektgröße (Cohen’s d: 0,56) verbessern. Verschiedene Substanzen werden daher – neben Koffein und Nikotin – zunehmend auch von Nicht-Patienten zum „Cognitive enhancement“ eingesetzt, also um die berufliche oder sonstige Leistungsfähigkeit zu steigern. Häufig sind es Studenten und „Kreative“, die sich dieser Mittel bedienen – ob dies den Ärzten gefällt oder nicht, denn die Medikamente lassen sich heute unschwer ohne Rezept online besorgen. Unter 6275 Schweizer Studenten räumten 13,8% ein geplantes „Neuroenhancement“ ein, gleichermaßen mit verschreibungspflichtigen (7,6%) und illegalen Substanzen (7,8%), besonders vor Prüfungen.
Damit diese Entwicklung „nicht aus den Ruder läuft“, fordern die Autoren, „Cognitive enhancer“ nicht zu tabuisieren, sie vielmehr in Studien gezielt zu prüfen, explizit auch bei gesunden Probanden. Die starre Unterscheidung in medizinischen und nicht-medizinischen Einsatz sehen sie eher als ein Hemmnis. Bei der Einnahme durch junge Menschen ist nicht zuletzt zu beachten, dass sich durchaus negative Effekte auf das sich entwickelnde Gehirn einstellten könnten. Auch dies sei in Studien zu prüfen.
Nolen volens werde insbesondere auf Psychiater die Aufgabe zukommen, sich im Interesse ihrer Patienten (und der Gesellschaft) mit dem Nutzen und den Gefahren auch bei einem Lifestyle- use der „Smart drugs“ zu befassen. JL
Quelle:

Sahakian BJ, Morein-Zamir S: Pharmacological cognitive enhancement: treatment of neuropsychiatric disorders and lifestyle use by healthy people. Lancet Psychiatry 2015; 2(4): 357-62

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