Aus den „Late-Breaking“-Abstracts und den Highlights der „Blue Ribbon“-Session beim MDS-Kongress hier einige Einblicke.
Der Lessebo-Effekt
Der Lessebo-Effekt – das Gegenteil des Plazebo-Effekts – beschreibt die Auswirkungen des Wissens, im Rahmen einer kontrollierten Studie nicht das Verum, sondern Plazebo zu erhalten. Wie die Durchsicht aller 39 Doppelblindstudien zu Dopaminagonisten bei Parkinson-Patienten ergab, ist der Effekt nicht riesig, aber doch erkennbar: Zwischen den 3391Teilnehmern an 30 Studien mit und den 4554 an Studien ohne Plazebo fanden die Autoren eine signifikant unterschiedliche Effektgröße im Motor-Score der UPDRS von 1,75 Punkten (p = 0,009). Dieser Lessebo-Effekt war nur bei kürzerer Studiendauer (< 3 Monate), kürzer Erkrankten (< 2,7 Jahre), Abwesenheit motorischer Fluktuationen und geringerem UPDRS-III-Score zu Baseline (< 24 Punkte) signifikant. Der Therapieeffekt eines Medikamentes könnte also in Plazebokontrollierten Studien geringer erscheinen als er ist.
α-Synuclein bei MSA
Während Morbus Parkinson überwiegend durch eine Degeneration der Neuronen gekennzeichnet ist, liegen bei der Multiplen Systematrophie (MSA) vorwiegend Veränderungen von Astrozyten (Astrogliose) und Oligodendrozyten (gliale zytoplasmatische-Einschlüsse, GCI) vor. Australische Forscher fanden nun anhand morphometrischer Untersuchungen einen direkten Einfluss von α-Synuclein (α-Syn): U. a. zeigten in MSA-Gewebe Astrozyten eine signifikante Verdickung und Verlängerung der Fortsätze, die mit kürzerer Entfernung zum nächstgelegenen GCI-haltigen Oligodendrozyten linear zunahmen. Außerdem bewirkte die Injektion von aus MSA-Gewebe stammendem α-Syn im Hirn der Maus eine weitreichende, aber hemisphärisch streng begrenzte Astrogliose. Die Ergebnisse sprechen für einen dominierenden Einfluss von α-Syn auf wesentliche Pathomechanismen der MSA.
Thalamotomie bei Tremor
Eine Gammaknife-Thalamotomie kann einen therapierefraktären Tremor bessern, doch der Erfolg ist schwer vorhersagbar. In Frankreich wurden nun die postoperativen MRT-Aufnahmen von 75 Tremor-Patienten (ET oder Parkinson-Tremor) analysiert. 74% sprachen klinisch gut an. Es fand sich eine Korrelation mit den MRT-Befunden, die in drei Gruppen eingeteil wurden: 4% waren „radiologische Hyperresponder“ mit ausgedehnten radiochirurgisch erzeugten Hirnläsionen und Ödemen, die sich über die Capsula interna hinaus erstreckten. Zwei dieser Patienten zeigten eine vorübergehende Hemiparese. 71% waren „Normoresponder“. Sie wiesen relevante radiochirurgisch bedingte MRT-Veränderungen mit stereotypen Mustern („Kokarden“) auf und sprachen auch klinisch gut an. Die 25% „Hyporesponder“ zeigten dagegen keine oder lediglich minimale MRT-Veränderungen nach der Bestrahlung; so fanden sich keine Gadolinium-Anreicherungen und nur sehr begrenzt T2-Läsionen. Neun von zehn Patienten (87,5%) ohne postoperativen klinischen Nutzen befanden sich in dieser Gruppe. Nach den Faktoren für die mangelnde Läsionierung muss noch gefahndet werden.
RLS und RBD in Deutschland
Wie hoch ist hierzulande die Prävalenz eines RLS und einer Verhaltensstörung im REM-Schlaf (REM behavior disorder, RBD) und wie häufig sind beide vergesellschaftet? Dazu wurde jetzt ein groß angelegtes Screening von 10 000 Personen (50–79 Jahre) in Lübeck durchgeführt. Bei positivem Ergebnis wurde näher untersucht. Je nach Kriterien ergab sich eine RLS- Prävalenz von 10-21% (M/F: 1 zu 1,4- 1,5). Ein RBD lag bei 7- 11% vor (F/M: 1 zu 1,2-1,4). Alle RLS- und RBD-Kriterien erfüllten 2-4%, Die RLS-Häufigkeit entspricht in etwa der in der Literatur (5-15%), eine RBD war aber deutlich häufiger als zuvor berichtet (0,5%).
Gehäuft maligne Melanome?
Obwohl die Krebs-Gesamtinzidenz bei Morbus Parkinson nicht erhöht ist, wird seit Jahren eine höhere Rate an malignem Melanom diskutiert. Dies hatte bereits die DATATOP-Studie (Rekrutierung 1987-1988) nahegelegt. In einer Auswertung des NIH Exploratory Trials in PD (NET-PD) an früh behandelten Patienten zeigten US-Forscher nun, dass das Risiko für ein malignes Melanom tatsächlich deutlich erhöht ist: Unter den 618 Frauen und 1123 Männern (6763 Personenjahre) traten statt der erwarteten 3,79 malignen Melanome (= BevölkerungsInzidenz) 13 Fälle auf (Standardized event ratio: 3,4; 95%-KI: 1,8-5,9). Aufgrund der dreifachen Risikoerhöhung sollten Parkinson-Patienten regelmäßig zum Hautarzt.
L-Dopa aus der Juckbohne
Italienische Neurologen arbeiten mit Parkinson-Kliniken in Ghana und Sambia zusammen. Weil sich die meisten Patienten die Medikation (L-Dopa-Tagesdosis 1,50 Dollar) nicht leisten können, prüften die Ärzte nun den L-Dopa-Gehalt von 30 lokal verfügbaren Gemüsen als potenzieller Medikationsersatz. Sie wurden nur bei zwei Pflanzen fündig: Die billige und überall erhältliche Leguminosen-Art Mucuna pruriens („Juckbohne“) enthält je nach Aufbereitung – trocken erhitzt bzw. gekocht – L-Dopa- Konzentrationen von 4,93% bzw. 2,8% in den schwarzen und 3,99% bzw. 2,28% in den weißen Samen - und keine toxischen Substanzen. Hört sich wie ein Spaß an: Die Forscher wollen nun genetisch Pflanzen designen, die L-Dopa und Carbidopa enthalten, und zwar im richtigen Verhältnis (1 : 4). JL