89. Kongress der DGN, Mannheim, 21. bis 24. Sept. 2016

Neuro-Depesche 10/2016

Aktuelle Neuro-Themen und -Trends

Auch dieses Jahr stellte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) auf dem größten deutschsprachigen Neurologie-Kongress ein umfangreiches – sowohl fachlich vertieftes, als auch interdisziplinäres – Programm an Vorträgen, Symposien, Postern und Fortbildungen vor. Etwa 6000 Fachbesucher zog es nach Mannheim.

Aus der großen Themenvielfalt zu Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose sowie der Grundlagenforschung hier einige der „Highlights“.
 
Aß-Antikörper gegen Alzheimer
 
Als „erste wirksame Therapie des Alzheimers“ und „Durchbruch in der Neurologie“ bezeichnete Prof. Hans-Christoph Diener, Essen, den humanen monoklonalen Antikörper gegen Amyloid- beta (Aß), Aducanumab. Bei einer hohen Bindungsaffinität an aggregiertes Aß, die etwa 10 000-fach höher ist als an monomeres Aß, kann der Antikörper die Toxizität löslicher Aß- Oligomere reduzieren. Jüngst wurden die Interimsergebnisse einer Phase-1b-Studie veröffentlicht: 165 Patienten mit leichter oder Vorstadien der Alzheimer-Demenz und positivem Aß-PET-Befund wurden in aufsteigende Dosisgruppen zur i.v.-Gabe von Aducanumab oder Placebo randomisiert. Nach zwölf Monaten waren nicht nur die Aß-Plaques in den untersuchten Kortex- Regionen dosisabhängig reduziert, die Therapie ging gegenüber Placebo auch mit einer Verlangsamung der kognitiven Verschlechterung einher. Der Unterschied war für die höchste Dosierung (10 mg/kg KG) signifikant. An Nebenwirkungen traten u. a. vasogene Ödeme auf, die sich aber typischerweise innerhalb von vier bis zwölf Wochen wieder auflösten. Eine Phase-III-Studie hat bereits begonnen. (Vorträge R. Dodel: Einschätzung von Aducanumab in der Alzheimer-Therapie und H.-C. Diener: Wichtige Studien in der Neurologie 2016 und ihre Implikationen für den klinischen Alltag).
 
„Late Breaker“: Kochsalz bei MS
 
Neueste Forschungen mittels Natrium (23Na)- Spektroskopie zeigen in der Unterschenkelhaut von 20 MS-Patienten gegenüber der gleichen Zahl von Kontrollen erhöhte Na-Konzentrationen, nicht jedoch in den unteren Gewebsschichten wie dem Muskel. Die Akkumulation des Elements in der Haut führt danach zu einer Immunreaktion. So wurde gezeigt, dass (MS-relevante) Th17-Zellen in Richtung höherer Salzkonzentrationen wandern, berichtete Prof. Ralf Linker, Erlangen. Außerdem kommt es bei Salz-Ablagerungen in der Haut zur Attraktion von Makrophagen, die vaskuläre Wachstumsfaktoren produzieren und in der Haut eine lymphokapilläre Hyperplasie hervorrufen. Resultat ist schließlich das Auswandern von in der Haut aktivierten TZellen und eine Förderung der neuroinflammatorischen Prozesse. („Late Breaking News“ R. Linker: Die Wirkung von Kochsalz auf die Multiple Sklerose)
 
Neue OCT-Verfahren
 
Die Retina als Teil des Hirngewebes kann mit der optischen Kohärenztomographie (OCT) visualisiert werden. In Kombination mit dem MRT lässt sich die transsynaptische Degeneration zwischen Retina und visuellem Kortex beurteilen. Mit neuen hochauflösenden Verfahren wie der Spectral Domain OCT ist es nun möglich, eine Auflösung im Auge von wenigen μm zu erreichen, mithin zwei Zehnerpotenzen feiner als das MRT, schilderte Prof. Friedemann Paul, Berlin. Nach einer Metaanalyse wurde bei MS-Patienten ohne vorangegangene Optikusneuritis eine Abnahme der retinalen Nervenfaserschicht um 5–10 μm festgestellt. Bisherige Untersuchungen deuten auf eine funktionelle Kompensationsfähigkeit des visuellen Systems hin, die aber bei Unterschreiten eines Schwellenwertes des retinalen Nervenfaserverlusts zur Dekompensation führt. Um zukünftige irreversible Schäden zu verhindern, so der Experte, können die verfeinerten OCT-Befunde die Therapieentscheidung zugunsten einer Eskalations- oder frühen Basistherapie unterstützen. (Vortragsreihe des KKNMS, F. Paul: Bedeutung von Surrogatmarkern wie OCT für Therapie und Verlauf der Multiplen Sklerose).
 
Molekularpathologische Diagnostik und kausale Therapieansätze
 
Die atypischen Parkinson-Syndrome präsentieren sich häufig mit heterogenen Symptomen, die eine Differenzialdiagnose erschweren. So können bei der Progressiven supranukleären Parese (PSP) Zeichen eines Morbus Parkinson, einer Frontotemporalen Demenz, eines Kortikobasalen Syndroms oder andere Symptombilder gegenüber den typischen PSP-Symptomen dominieren. Da die bisherigen Diagnosekriterien für das ursprünglich beschriebene Richardson-Syndrom sehr sensitiv, aber für die beschriebenen phänotypischen PSP-Varianten und frühe Verläufe weniger geeignet sind, erarbeitet die „MDS-endorsed PSP Study Group“ nun eine Revision der klinischen Kriterien.
Mit einer Kalkulator-App kann aus den überlappenden klinischen Syndromen auf die Wahrscheinlichkeit einer zugrundeliegenden PSP geschlossen werden, berichtete Prof. Günther Höglinger, München. Zur Verifizierung der klinischen Diagnose dienen neue molekularpathologische Verfahren wie die Tau-PET. Statt der bisherigen symptomorientierten Therapien durch die Neurotransmitter-Modulation sollen zukünftig die jeweils zugrunde liegenden pathologischen Ablagerungen als Zielstrukturen dienen. So sind bereits Antikörper, z. B. gegen Tau-Proteine, in der Entwicklung. (Vortrag G. U. Höglinger: Klinische Endophänotypisierung der Parkinson-Syndrome).
 
Antibiotika bei ungesicherter Neuroborreliose?
 
Häufig werden chronische unspezifische Beschwerden auf eine Borrelien-Infektion zurückgeführt, ohne dass die Diagnose gesichert ist. Dass der häufigste Grund für ein Nicht-Ansprechen der Antibiotika-Therapie wahrscheinlich eine Fehldiagnose ist, zeigt jetzt eine systematische Studienauswertung zum Outcome der Neuroborreliose auf, die Prof. Sebastian Rauer, Freiburg, vorstellte. Er wies darauf hin, dass eine Antibiotika-Behandlung über 14 bis 21 Tage im Falle einer vorliegenden Neuroborreliose ausreichend ist – während Langzeitbehandlungen eher schaden können. (Vortrag S. Rauer: Neuroborreliose – was ist gesichert, was nicht?) BZ
ICD-Codes: A69.2 , G20

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