Die gepoolt ausgewerteten Studiendaten ergaben ein absolutes Risiko für einen ischämischen Schlaganfall unter jungen Frauen ohne
Migräne und ohne hormonelle Kontrazeption (HK) von jährlich 2,5 pro 100 000 Personen, mit HK aber von 6,3. Bei jungen Frauen mit
Migräne ohne Aura ohne HK liegt dieses Risiko bei jährlich 4,0, mit HK aber bei 25,4. Bei jungen Frauen mit
Migräne mit Aura ohne HK beträgt das Risiko jährlich 5,9, mit HK aber 36,9/100 000.
Die Analysen ergaben ferner die größten Risiken für kombinierte Hormonkontrazeptiva.
Obwohl die absolute Schlaganfallgefahr bei
Migräne-Patienten mit HK gering erscheint sprachen EHF und ESC − meist mit geringer Evidenz, da überwiegend aus Beobachtungsstudien abgeleitet − die folgenden Empfehlungen aus:
Bei Frauen mit dem Wunsch nach HK sollten
(1) eine klinische Untersuchung auf das Vorliegen einer
Migräne (und ggf. auf den Sybtyp: mit oder ohne Aura) sowie deren Häufigkeit erfolgen. Vor dem Verschreiben kombinierter Hormonpräparate sollten die etablierten vaskulären Risikofaktoren* erfasst werden.
(2) ein geeignetes, leicht anwendbares diagnostisches Tool zu
Migräne-Erkennung eingesetzt werden.
(3) bei der HK-Wahl das Risikospektrum berücksichtigt werden. Unter den Produkten mit Hormonkombinationen sind Hoch-Risiko-HK Pillen mit 35 μg Ethinylestradiol. Mittel-Risiko- HK sind Pillen mit ≤ 35 μg Ethinylestradiol, Hormonpflaster und Vaginalringe. HK ohne Risiko dagegen sind Präparate mit Progestogen allein (oral, subdermale Implantate oder Depotinjektionen) sowie Levonorgestrel-freisetzende Intrauterinsysteme.
Bei Frauen mit
Migräne mit Aura und HKWunsch sollten
(4) keinerlei Hormon-Kombinationspräparate eingesetzt werden, die Ethinylestradiol and 17ß-Estradiol/Estradiolvalerat enthalten.
(5) nicht-hormonelle Kontrazeptiva (Kondome, Kupferspirale/-kette, permanente Methoden) oder Präparate mit Progestogen allein (s. o.) und Levonorgestrel-freisetzende Intrauterinsysteme bevorzugt werden.
Frauen mit
Migräne mit Aura, die bereits mit hormonellen Kombinationen verhüten, sollten
(6) auf die unter (5) genannten nicht-hormonellen Alternativen umgestellt werden.
Bei Frauen mit
Migräne ohne Aura mit dem Wunsch nach HK und zusätzlichen Risikofaktoren* sollten
(7) ebenfalls die unter (5) genannten Alternativen präferiert werden.
Bei Frauen mit
Migräne ohne Aura mit dem Wunsch nach HK ohne zusätzliche Risikofaktoren* können
(8) Hormonkombinationen mit ≤ 35 μg Ethinylestradiol (unter Beobachtung von
Migräne- Häufigkeit und -Schwere) eingesetzt werden. Nutzen und Risiken dieser Kombinationspräparate (vs. geeigneter Alternativen) sind sorgfältig gegeneinander abzuwägen.
Bei Frauen mit
Migräne mit oder ohne Aura, die wegen eines polyzystischen ovariellen Syndroms oder einer Endometriose einer hormonellen Behandlung bedürfen, sollte
(9) die Wahl (Produkte mit Progestogen allein oder Hormonkombinationen) auf klinischer Basis erfolgen.
Bei Frauen, die nach Beginn einer HK mit einer Hormonkombination erstmals eine
Migräne mit Aura entwickeln oder im zeitlichen Zusammenhang mit dem Beginn einer hormonellen Kontrazeption erstmals eine
Migräne ohne Aura entwickeln, sollte
(10) der Wechsel auf die unter (5) genannten nicht-hormonellen Alternativen oder auf Kontrazeptiva mit Progestogen allein oder Levonorgestrel- Freisetzung erwogen werden.
Bei Frauen mit
Migräne mit oder ohne Aura, die einer postkoitalen Kontrazeption“ bedürfen, wird
(11) die orale Gabe von Levonorgestrel (1,5 mg) oder Ulipristalacetat (30 mg) oder aber die „Kupferspirale/-kette“ danach empfohlen.
Bei Frauen mit
Migräne mit oder ohne Aura und HK-Wunsch wird
(12) von spezifischen Tests (z. B. auf Thrombophilie) oder Untersuchungen (z. B. auf ein persistierendes Foramen ovale oder Neuroimaging) für die HK-Entscheidung abgeraten, solange diese nicht aufgrund der Patientenanamnese oder des Vorliegens spezifischer Symptome indiziert sind.
Bei Frauen mit Nicht-
Migräne-Kopfschmerz und dem Wunsch nach HK
(13) kann jedes niedrig-dosierte hormonelle Kontrazeptivum eingesetzt werden.
Zukünftige Forschungsschwerpunkte betreffen die spezielle Pathogenese der thombotischen Ereignisse bei
Migräne und die Frage, warum kombinierte Hormonpräparate die Gefahr besonders stark erhöhen. Außerdem bedarf es Biomarker zur Risikostratifizierung.
HL
*Etablierte vaskuläre Risikofaktoren sind Zigaretten-Rauchen, arterieller Bluthochdruck, Übergewicht sowie kardiovaskuläre Erkrankung, tiefe Venenthrombose oder Lungenembolie in der Anamnese.