Aus der breiten Themenpalette des DGN-Kongresses hier einige ausgewählte Beiträge
Netzwerkstörungen bei MS
Eine Forschungsgruppe befasste sich näher mit den lokalen Netzwerkstörungen bei MS Patienten. Im Mausmodell sollte dafür im Wachzustand die neuronale Spontanaktivität zu unterschiedlichen Erkrankungszeitpunkten beurteilt werden. Denn es ist aus der experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE) bekannt, dass selbst in der Remission eine pathologische Verschiebung in Richtung neuronaler Spontanaktivität besteht. Folgen sind veränderte Verhaltensmuster und ein erhöhter neuronaler Zelltod. Wann kommt es im EAE-Verlauf zu veränderten neuronalen Aktivitäten im visuellen Kortex, und welche Auswirkungen haben diese auf die Mäuse? In einem zweiten Schritt wurde untersucht, ob auch bei MS-Patienten ähnliche Veränderungen zu beobachten sind. Es wurde daraufhin im wachen Tier eine longitudinale Zwei-Photonen- Bildgebung durchgeführt, nachdem das Calcium-sensitive Protein GCaMP6 in den visuellen Kortex injiziert wurde. Tatsächlich entwickelten die EAE-Mäuse ab dem ersten Schub eine erhöhte neuronale Spontanaktivität und reduzierte Konnektivitäten, die auch während der Remission bestehen blieben. Zudem nahm die Dichte der inhibitorischen Synapsen kompensatorisch signifikant zu, während die optogenetische Erregbarkeit des Hirnstammes deutlich reduziert war. Ähnliche Entwicklungen konnten auch bei MS-Betroffenen gezeigt werden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass selbst bei einem stabilen Krankheitsverlauf Netzwerkstörungen in morphologisch unauffälligen Hirnarealen vorliegen können, die funktionelle Beeinträchtigungen nach sich ziehen.
Schlaganfall: Optimierung des FAST-Schemas
In der Notfallmedizin wird zur schnellen Abklärung eines Schlaganfalls das Face-Arm-Speech-Time-(FAST)-Schema angewendet. Allerdings werden dadurch nur Symptome einer Durchblutungsstörung im Versorgungsgebiet der A. carotis interna erfasst. Schlaganfälle in anderen Regionen werden so u. U. nicht erfasst. Experten haben das FAST-Schema daher um vier Symptome erweitert, die häufig bei dieser Klientel auftauchen. Dazu gehören Schwindel, Doppelbilder, Gesichtsfelddefekte sowie Dysmetrie und Ataxie (im englischen „Dizzyness“, „Diplopic images“, „Deficite in field of view“, „Dysmetria“). In einer prospektiven, monozentrischen Observationsstudie über einen Zeitraum von zwei Jahren wurde untersucht, ob durch das FAST4D-Schema mehr Patienten mit Schlaganfällen durch den Rettungsdienst erkannt und richtig zugewiesen werden konnten. Die sekundären Fragestellungen untersuchten die Sensitivität und Spezifität von FAST4D im Vergleich zu FAST. Es wurden 1.862 Patienten in die Studie eingeschlossen. Durch FAST4D wurden 190 Patienten (13,5 %) als Schlaganfall erkannt, welche allein durch FAST nicht richtig zugeordnet worden wären. Die beiden 4-Felder-Tafeln zeigten eine bessere Sensitivität von 91 % mit FAST4D gegenüber 77 % bei FAST allein. Die Spezifität verringerte sich durch FAST4D auf 8 % im Vergleich zu 56 % mit FAST. Eine konsekutive Übertriage, bedingt durch eine Verschlechterung der Spezifität, ist aufgrund der erforderlichen zeitkritischen Behandlung zu rechtfertigen. Die Experten sind daher der Ansicht, dass das FAST-Schema um die 4D-Items erweitert werden sollte.i
Neuronale Mechanismen des Glioblastoms
Eines der Hauptkennzeichen unheilbarer Gliome ist die Infiltration des gesamten Gehirns auf Basis kurzer Membranausstülpungen, sogenannter Tumormikroröhren (TMs). Eine Subpopulation von Glioblastomzellen bildet ein funktionelles und therapieresistentes Tumorzellnetzwerk, das durch die TMs miteinander verbunden ist, während andere Subpopulationen offenbar keine Verbindung zu anderen Gliomzellen haben. Eine Studie zielte nun darauf ab zu detektieren, welche Zellzustände von Gliomzellen für die Gliomzellinvasion verantwortlich sind. Die Forscher vermuteten, dass die Tumorzellen, denen es an Verbindung zu TMs mangelt, die Invasion durch neuronale Mechanismen vorantreiben. In einem neuartigen Arbeitsablauf wurde die molekulare, zelluläre und funktionelle Heterogenität von Gliomzellen mit von Patienten abgeleiteten Xenotransplantatmodellen und Patientendaten überlagert. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass Gliomzellen, denen die Verbindungen zu anderen Tumorzellen und Astrozyten fehlen, als Haupttreiber der Gliominvasion verantwortlich zeichnen. Insgesamt konnten drei Schichten neuronaler Merkmale der Glioblastomzell-Invasion entdeckt werden. Dies eröffnet potenzielle, neue Wege für klinisch-translationale Ansätze zur Bekämpfung dieser schweren, schnell tödlich endenden Erkrankung. LB