Schizophrenie-Patienten

Neuro-Depesche 10/2018

Kurz vor dem Suizid noch beim Psychiater gewesen?

Zertifizierte Fortbildung

Die Suizidrate ist bei Patienten mit schizophrenen und anderen Psychosen deutlich höher als in der Bevölkerung. Kanadische Psychiater suchten nun in einer retro-spektiven Fall-Kontroll-Studie nach möglichen Risikofaktoren. Sie fanden u. a. heraus, dass viele Patienten noch kurz vor ihrer Tat einen Psychiater aufgesucht hatten.

Die Psychiater aus Toronto werteten alle 5650 zwischen 2008 bis 2012 begangenen Sui-zide in der Provinz Ontario aus. Bei 663 (11,7%) hatte eine Diagnose aus dem Schizophrenie-Spektrum (Schizophrenie, schizoaffektive Störung, nicht näher bezeichnete Psychose) vorgelegen. Die übrigen 4987 Personen dienten als Kontrollen.
Unter allen Suizidopfern waren jene mit einer Schizophrenie im Vergleich zu den übrigen häufiger weiblich (35,3% vs. 25,1%) und im Durchschnitt jünger: Sie befanden ich u. a. deutlich häufiger in den Altersgruppen 25–34 Jahre (21,7% vs. 11,1%) und 3 –44 Jahre (21,4% vs. 17,5%). Außerdem hatten sie deutlich häufiger in Städten gelebt (90,5% vs. 82,2%) als die Kontrollen, wiesen den niedrigsten sozioökonomischen Status (37,7% vs. 23,5%) und hatten aufgrund psychischer Probleme in den letzten fünf Jahren vermehrt Gesundheitsressourcen in Anspruch genommen (Hausarzt-Besuche: 86,3% vs. 58,9%).
Die Betroffenen mit Schizophrenie hatten auch deutlich häufiger unter komorbiden psychiatrischen Erkrankungen wie affektiven Störungen inkl. Depression (62,0% vs. 27,9%), Alkoholabhängigkeit (28,4% vs. 16,9%), Drogensucht (41,6% vs. 19,2%) und Persönlichkeitsstörungen (18,7% vs. 9,2%) gelitten. Dem entsprechend waren unter den Betroffenen mit 85,7% vs. 30,6% fast dreimal so viele Personen in den letzten fünf Jahren in psychiatrischer Behandlung gewesen und mit 76,3% vs. 24,0% mehr als dreimal so viele Personen in der Vergangenheit wegen eines Suizidversuchs auf der Notaufnahme behandelt worden als jene ohne Schizophrenie-Diagnose.
Interessanterweise hatte in den 30 Tagen vor dem Suizid knapp ein Drittel der Suizid-opfer mit Schizophrenie (31,7%) Kontakt mit einem Psychiater gehabt (Kontrollen: 9,1%), und etwa jeder Zehnte (12,4%) war wegen psychischer Gründe auf der Notaufnahme vorstellig geworden (Kontrollen: 6,3%) Den Hausarzt wegen psychischer Probleme aufgesucht hatten 19,9% (vs. 14,0% der Kontrollen). JL
Kommentar

Obwohl nur etwa 1% der Bevölkerung eine Diagnose des Schizophrenie-Spektrums aufweist, stammen aus dieser Patientengruppe fast 12% aller Suizidopfer. Die aktuelle Studie bestätigt einige etablierte Risikofaktoren für einen Suizid von Schizophrenie-Kranken wie jüngeres Alter, untere Einkommensschicht, Urbanität und psychiatrische Komorbidität. Dass knapp ein Drittel der Betroffenen einen Monat vor ihrem Suizid noch einen Psychiater aufgesucht hatte, deutet an, dass dieser mögliche Suizidzeichen „übersehen“ hat. Dessen ungeachtet bietet diese Kontaktaufnahme die Chance, Gefährdete noch rechtzeitig zu erkennen. Für die Suizidprävention bedeutet dies u. a., schon sehr früh im Verlauf auf mögliche Anzeichen einer Suizidalität zu achten.



Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle:

Zaheer J et al.: Service utilization and suicide among people with schizophrenia spectrum disorders. Schiz Res 2018 [Epub 20. Juni; doi: org/10.1016/j. schres.2018.06.025]

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