Pathologie der Alzheimer-Demenz

Neuro-Depesche 9/2018

Spielen Herpesviren eine maßgebliche Rolle?

Zertifizierte Fortbildung

Seit den 50er Jahren wird vermutet, dass pathogene Keime zur Entstehung und zur Progredienz der Alzheimer-Erkrankung beitragen könnten (Stichwort „Slow virus“). Jetzt wurden in einer komplexen US-Studie interessante Zusammenhänge zwischen humanen Herpesviren (HHV), den Demenz-relevanten Genen und typischen Alzheimer-Merkmalen festgestellt.

Unter vielen weiteren Ansätzen wurden post mortem Gewebeproben von Patienten mit spät einsetzender Alzheimer-Demenz (AD) und gesunden Kontrollen vier AD-sensible Regionen untersucht: superiorer temporaler Gyrus (STG, n = 137), anteriorer präfrontaler Kortex (APFC, n = 213), inferior frontaler Gyrus (IFG; n = 186) und parahippokampaler Gyrus (PHG, n = 107).
In einer Integration der histopathologischen Befunde (Amyloid-Plaques, Fibrillen) mit Daten zu Virom, Genom (mittels „Whole-exome“ DNA und RNA-Sequencing), Transkriptom (in Regionen, die am frühesten einen AD-bedingten Neuronenverlust aufweisen wie entorhinaler Kortex und Hippokampus) und Proteom sowie den verfügbaren Kognitionsbefunden wurden „Probabilistic causal networks“ (PCN) für eine präklinische AD konstruiert.
Die Berechnungen ergaben, dass mehrere Viren einen Einfluss hatten. Am stärksten fielen die Befunde zu Lasten des neurotropen humanen Herpesvirus 6A (HHV-6A), 6B (HHV- 6B) und 7 (HHV-7) aus. Im Vergleich mit den Kontrollen wurden bei den AD-Patienten etwa doppelt so viel HHV-6A und HHV-7 festgestellt; besonders konsistent waren die Befunde in den AD-Proben in APFC und STG.
Besonders HHV-6A wirkte sich auf vielen Ebenen prominent aus: Seine RNA- bzw. DNA-Menge und -Verteilung sowie die „Viral quantitative trait loci“ (vQTL)-Marker zeigten Assoziationen mit AD-Merkmalen, es fand sich eine vermehrte Expression von AD-Risiko-Genloci und eines bedeutenden Teils der AD-Risiko-Gene.
In der Tat wirkte sich HHV-6A am umfassendsten aus und beeinflusste die Gene/Genprodukte, die den APP-Stoffwechsel regulieren in allen Geweben. Bspw. ergab sich durch HHV-6A eine Induktion von Amyloid beta precursor protein binding family B member 2 (APBB2), Bridging Integrator 1 (BIN1), b-site amyloid precursor protein cleaving enzyme 1 (BACE1), Clusterin (CLU), Phosphatidylinositol Binding Clathrin Assembly Protein (PICALM) und Gamma-secretase subunit presenilin-1 (PSEN1). JL
Kommentar

Die in dieser Netzwerkauswertung gefundenen Zusammenhänge liefern den Autoren zufolge „eine überzeugende Evidenz“ dafür, dass spezifische Viren-Species, hier HHV, zu den neuropathologischen Alzheimer-Veränderungen beitragen. Anders als die meisten anderen Viren können sich HHV-6 und HHV-7 in subtelomerische Regionen der Wirtschromosome integrieren. Sollte sich dies bestätigen, eröffnet sich die Chance, die bei AD überrepräsentierten Herpes-Stämme mit spezifischen antiviralen Medikamenten zu bekämpfen. Bislang handelt es sich allerdings nur um eine (attraktive) Hypothese. Ob die Viren ein kausales Element sind oder doch nur „opportunistische Passagiere der Alzheimer-Neurodegeneration“, ist noch unklar.



Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle:

Readhead B et al.: Multiscale analysis of independent Alzheimer‘s cohorts finds disruption ... Neuron 2018; 99(1): 64-82

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