CAVE: Suizidalität unter Antidepressiva

Neuro-Depesche 9/2015

Besonders auf jüngere Frauen achten!

Zertifizierte Fortbildung

Die Therapie Jugendlicher mit Antidepressiva, insbesondere SSRI, wurde in der Vergangenheit mit gehäuftem suizidalen Verhalten assoziiert. In einer pharmakoepidemiologischen Studie untersuchten niederländische Wissenschaftler nun retrospektiv, ob in der Suizidalität zwischen der Zeit vor und nach Behandlungsbeginn ein Unterschied besteht, und ob dieser möglicherweise altersabhängig ist.

Die Antidepressiva-Verschreibungen einer großen Krankenkasse (2006–2011) und das bevölkerungsbasierte Register Centraal Bureau voor de Statistiek (CBS) wurden miteinander abgeglichen. Eine erste Antidepressiva-Einnahme fand sich bei 66 196 Personen. Im ersten Monat danach wurden 74 Suizidversuche dokumentiert, in den ersten sechs Monaten 522.
Unter den 5636 Behandelten im Alter unter 25 Jahren wurde schon im Monat vor Therapiebeginn (ohne Unterschied zwischen den Geschlechtern) eine hohe Rate an Suizidversuchen gefunden (376,3/10 000 Personenjahre; gesetzte Incidence Rate Ratio [IRR]: 1,00). Im Monat nach Ersteinnahme der Antidepressiva (> 60% SSRI) ergab sich bei ihnen ein tendenzieller Anstieg auf 552,8/10 000 PRSJ (IRR: 1,47; p = 0,212). Danach kam es zu einer ebenfalls nichtsignifikanten leichten Abnahme (p = 0,3050).
Interessanterweise stieg die IRR im ersten Behandlungsmonat in der Jüngeren-Gruppe nur unter den Frauen maßgeblich an (IRR: 1,94; p = 0,065), nicht aber bei den jüngeren Männern (IRR: 0,52; p = 0,368). Daher war weibliches Geschlecht mit dem Suizidversuchsrisiko „effektmodifizierend“ assoziiert. Das Antidepressivum und andere Therapieumstände hatten unter den jungen Patienten keinen signifikanten Einfluss.
Unter den Patienten im Alter ≥ 25 Jahren ergab sich dagegen sofort nach Beginn der Antidepressiva- Einnahme bei beiden Geschlechtern ähnlich eine klare (und anhaltende) Abnahme der Suizidversuchsrate (p < 0,025). Die IRR lag in der Gruppe der 40- bis 60-Jährigen im ersten Behandlungsmonat bei 0,44 (p = 0,0003).
Ein gleiches Muster fand sich auch in der Gruppe der SSRI-Behandelten: Im ersten Monat kam es bei den Jüngeren zu einem leichten, nicht-signifikanten Anstieg (IRR: 1,28; p = 0,493) und bei den Älteren zu einer deutlichen, signifikanten Abnahme (IRR: 0,36; p = 0,006). Alter war in jedem angewendeten Modell der stärkste Risikofaktor, bei den jüngeren Patienten vor allem modifiziert durch das Geschlecht. JL
Kommentar

Bei jungen depressiven Menschen besteht schon vor der ersten Antidepressiva-Einnahme ein hohes Risiko für Suizidversuche. Dass sich dieses in der ersten Zeit nach Behandlungsbeginn nicht dramatisch verringert, wie dies bei den Älteren der Fall ist, legt eine geringere suizidpräventive Wirksamkeit der Antidepressiva in jüngerem Alter nahe. Das Alter bzw. die mit jüngerem Alter einhergehende Krankheitsausprägung dürften die Suizidalität am stärksten prägen.



Hinweis: Dieser Artikel ist Teil einer CME-Fortbildung.

Quelle:

Termorshuizen F et al.: Suicide behavior before and after the start with antidepressants: a high persistent risk in the first month of treatment among the young. Int K J Neuropsychopharmacol 2015; pii: pyv081 [Epub 18. Juli; doi: 10.1093/ijnp/pyv081]

ICD-Codes: T88.7 , R45.8

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