Erkenntnisstand

Neuro-Depesche 2/2001

Praktisches Vorgehen bei sozialer Phobie

Bei der sozialen Phobie handelt es sich um die häufigste Angsterkrankung überhaupt. In einer Übersichtsarbeit wurden die wesentlichen Erkenntnisse zu Epidemiologie und therapeutischem Vorgehen zusammengefasst.

Trotz wirksamer Behandlungsmethoden muss die soziale Phobie als zu selten diagnostiziert und behandelt betrachtet werden, die Zahl der adäquat Versorgten wird auf unter 25% geschätzt. Die Einjahresprävalenz der sozialen Phobie liegt bei Personen zwischen 15 und 64 Jahren bei 7% bis 8%, die Lebenszeitprävalenz sogar bei 13% bis 14%. Bei 70% bis 80% der Patienten besteht eine weitere psychische Störung, zumeist eine weitere Angststörung (67%). Affektive Begleiterkrankungen, meist depressive Erkrankungen und Drogen- oder Alkoholmissbrauch liegen bei etwa je 40% der Angststörungen vor. In der Allgemeinbevölkerung ist der Anteil von Frauen mit sozialer Phobie höher (59% vs. 41%), in Patienten-Kohorten überwiegen oft die Männer. Das typische Erkrankungsalter liegt bei unter 20 Jahren und vielfach sind bereits Kinder betroffen. Es besteht eine starke Tendenz zur Chronifizierung, die Suizidrate ist insbesondere bei weiteren psychischen Erkrankungen erhöht. Für die medikamentöse Behandlung stehen mehrere Wirkstoffe zur Verfügung. In erster Linie kommen SSRI in Betracht: Hier haben sich Paroxetin und Fluvoxamin als geeignet erwiesen, kleinere Studien haben die Wirkung von Citalopram, Fluoxetin und Sertralin gezeigt. Mit irreversiblen MAO-Hemmern wie Phenelzin und Tranylcypromin haben sich zwar ebenfalls Behandlungserfolge ergeben, sie kommen aber aus Gründen der Arzneimittelsicherheit nur als - Second-line'-Behandlung in Betracht. Die Studienlage für reversible MAO-A-Hemmer wie Moclobemid ist mit Therapierfolgen in zwei von vier Studien weniger eindeutig. Unter den neueren Antidepressiva liegen Erfolgsberichte für Venlafaxin, das in Deutschland für die Behandlung der generalisierten Angststörung zugelassen ist, und für Bupropion vor. Für Mirtazapin, Nefazodon oder Buspiron ist die Studienlage zur Beurteilung noch unzureichend. Trizyklische Antidepressiva wurden bei Patienten mit sozialer Phobie kaum untersucht. Am ehesten sind erwünschte Wirkungen von Clomipramin anzunehmen, das als serotonerges Medikament ja auch bei Zwangsstörungen eingesetzt wird. Benzodiazepine wie Clonazepam sind gerade bei Patienten mit sozialer Phobie wegen des Abhängigkeitspotenzials nur mit Vorsicht einzusetzen. Sie können aber, ebenso wie Betablocker, kurzfristig symptomatisch eingesetzt werden. Benzodiazepine kommen als Ersatz bei Patienten mit geringem Suchtrisiko, die auf SSRI nicht ansprechen, in Frage. Ein medikamentöser Therapieversuch sollte mindestens für acht bis zehn Wochen durchgeführt werden. Unter den Kurzzeit-Psychotherapien hat sie die kognitive Verhaltenstherapie herauskristallisiert. Sie kann zu den - First-line'-Therapien bei sozialer Phobie gezählt werden. Ferner sollen das Einüben sozialer Fertigkeiten und verschiedene Expositionstechniken mit Nutzen anwendbar sein. Psychodynamische Ansätze wurden bei Patienten mit sozialer Phobie noch nicht systematisch untersucht. Auch die Studienlage zur Kombination von Pharmako- und Psychotherapie ist bei potenziell synergistischer Wirkung derzeit noch unzureichend.

Quelle: Sareen, L: A review of the epidemiology and approaches to the treatment of social anxiety disorder, Zeitschrift: DRUGS, Ausgabe 59 (2000), Seiten: 497-509

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